Der Aktien-Berater Egbert Prior: Zuschauen und
                           Reichwerden?

                           Börsentips, süßer als
                           Nußecken

                           Wie Guildo Horn verehren Kleinanleger einen
                           jungen Mann, der im Fernsehen zum
                           Spekulieren animiert – und dabei womöglich
                           allzu sehr an sich denkt

                                       Von Martin Reim

                           Mainz, im Juli – Die drei Herren wirken nervös.
                           Dabei ist doch alles nur Spiel, sagen sie jedenfalls.
                           Vor fünf Monaten haben die drei Anlage-Experten
                           angefangen. Mit einem imaginären Kapital von 100
                           000 Mark kaufen und verkaufen sie Aktien und
                           Optionen, Werte allerdings, die wirklich an der
                           Börse gehandelt werden. Das geschieht einmal die
                           Woche, freitags abends, live vor der Kamera in den
                           Fernsehstudios auf dem Mainzer Lerchenberg: Die
                           Sendung „3sat Börse“ ist das wohl erfolgreichste
                           Branchen-Magazin Deutschlands mit
                           durchschnittlich einer halben Million Zuschauern,
                           und die drei stehen nun in edlem Wettstreit um die
                           höchsten Kursgewinne, um Ehre und Fähigkeiten.
                           Ende Juli wird abgerechnet, doch gewonnen hat
                           einer schon heute: Egbert Prior.

                           Er sei „Deutschlands erster internationaler
                           Börsenguru“, schreibt das österreichische
                           Wirtschaftsmagazin trend. Der eher schüchtern
                           wirkende 33jährige verkörpert einen neuen Typus in
                           der deutschen Börsenlandschaft, und sein Auftreten
                           ist eine Art Nebenwirkung des stetig steigenden
                           Aktienfiebers, dem seit etwa zwei Jahren nicht nur
                           Spekulanten erliegen. Aktientips interessierten zuvor
                           das breite Publikum kaum, und sie kamen fast
                           ausschließlich von Experten der Geldinstitute und
                           der Fachpresse. Egbert Prior aber berät Otto
                           Normalanleger, der es ihm mit großer Huldigung
                           dankt. Der stern vermeldet, Prior werde von seinen
                           Fans als „Guildo Horn der Börse“ tituliert und mit
                           „Meister“ angeredet. Und Priors Anhänger finden
                           den Weg zu ihrem Ratgeber ganz einfach: Sie
                           müssen nur den Fernseher einschalten.

                           Ein ganz besonderer Effekt

                           Der Moderator in einem ZDF-Studio in
                           Mainz-Lerchenberg führt auch am vergangenen
                           Freitag ein kurzes Gespräch mit jedem der drei
                           Spieler. Auf dem Bildschirm ist unterdessen ihre
                           jeweilige Depot-Übersicht erschienen – je fünf
                           Werte und einige Kursdaten auf grauem
                           Hintergrund, bei zwei Spielern sind die
                           Auswechslungen gegenüber der letzten Sendung
                           gelb unterlegt. Nur der jungenhafte Typ ganz links
                           am Tisch ändert nichts, als einziger gibt er keinen
                           Kommentar zu seinen Favoriten ab. Dennoch
                           gelingt Egbert Prior wieder einmal, was seinen
                           Konkurrenten zumeist versagt bleibt: deutliche
                           Kursbewegungen am Aktienmarkt auszulösen. Als
                           an diesem Montag der Börsenhandel in Frankfurt
                           startet, stürzte die Notierung des
                           Informations-Dienstleisters Hunzinger um zehn
                           Prozent ab. Sie war am Freitag um ein Fünftel nach
                           oben gegangen. Und das alles wird Egbert Prior
                           zugeschrieben.

                           Der „Prior-Effekt“ ist mittlerweile recht regelmäßig
                           zu beobachten, wenn der der Sohn eines
                           Lateinlehrers in 3sat auftritt oder zweimal pro
                           Woche seine Publikation Prior-Börse erscheint. In
                           der Freitagsausgabe hatte Prior die Hunzinger-Aktie
                           zum Kauf empfohlen und weckte damit
                           offensichtlich Hoffnungen, er werde sie in sein
                           TV-Depot nehmen. Nun wurde an der Börse
                           zugekauft – der Wert verzeichnete den höchsten
                           Tagesgewinn aller deutschen Titel. Die Sendung
                           erwies, daß die Spekulanten daneben lagen, manche
                           stießen den Titel wieder ab; der Kurs fiel.

                           Noch deutlicher ist sein Einfluß, wenn Prior in der
                           Sendung aktiv wird. So sagte der zum Star
                           avancierte Wirtschaftsjournalist im März vor der
                           Kamera, die Aktie des
                           Telekommunikations-Betreibers Mobilcom sei
                           wesentlich mehr wert als ihr damaliger Kurs von
                           1200 Mark – nämlich 3000 Mark. Am folgenden
                           Montag morgen jagte die Notierung bei
                           ungewöhnlich hohen Umsätzen um ein Drittel auf
                           1850 Mark hoch. Als Prior Anfang Februar die
                           Stammaktie des Münchener Auto-Verleihers Sixt in
                           sein Depot aufnahm, sprang der Kurs zu
                           Wochenbeginn ebenfalls um ein Drittel nach oben.

                           Er sei „stolz darauf, die Märkte zu bewegen“, sagt
                           Prior. Sein Fernseh-Startgeld hat er mittlerweile
                           verdoppelt und liegt damit weit vor seinen
                           Konkurrenten. Schon in früheren Runden hat Prior
                           zweimal gesiegt, zuletzt mit einem Rekordgewinn in
                           der zehnjährigen Geschichte des Fernsehmagazins.
                           Fehlgriffe bei der Flug-Aktie Debonair und dem
                           Versorger-Wert Eurogas konnten die Bilanz kaum
                           trüben. Die Redaktion habe nach der vergangenen
                           Runde „Hunderte, zu achtzig Prozent positive
                           Briefen“ bekommen, berichtet der Leiter der „3sat
                           Börse“, Peter Nemec. Tenor der Einsendungen:
                           Prior soll weitermachen.

                           Der ehemalige Redakteur bei Capital, Handelsblatt
                           und dem Informationsdienst Platow-Brief hat
                           mittlerweile ganz handfest mit seinem TV-Kapital
                           gewuchert. Pünktlich zu Beginn der aktuellen
                           Spielrunde brachte er seine Prior-Börse auf den
                           Markt. Das einmal gefaltete DIN-A-3-Blatt,
                           beidseitig bedruckt und zumeist in grau-blau
                           gehalten, sei mit inzwischen 8000
                           Dauer-Abonnenten inzwischen „größter und
                           erfolgreichster Börsendienst in der Bundesrepublik“,
                           sagt der geschäftstüchtige Chefredakteur ohne
                           falsche Bescheidenheit. Mit seinem Blättchen
                           werde er in diesem Jahr eine Million Gewinn vor
                           Steuern machen, „wahrscheinlich noch viel mehr“.

                           Doch während die Auflage steigt, regt sich in der
                           Branche der Argwohn – beispielsweise über die
                           Finanzierung des Verlags Prior AG. Der
                           Namensgeber ist zwar im Handelsregister als
                           alleiniger Inhaber eingetragen, doch sagt er selbst,
                           daß 16 Prozent bei anderen Geldgebern liegen,
                           deren Anteile er treuhänderisch verwalte. Ob es
                           sich dabei um Firmen, deren Werte er empfohlen
                           hatte, oder deren Management handelt, sagt er
                           nicht: „Sonst gäbe es nur Gerede über meine
                           Unabhängigkeit.“ Die sei natürlich voll
                           gewährleistet. Andere Börsenspezialisten nennen
                           den „Prior-Effekt“ unseriös. „Kein Wunder, daß
                           sein Depot immer mehr wert wird – er sorgt durch
                           seine Empfehlungen zum Gutteil selbst dafür“, sagt
                           einer. Dies klappe besonders gut, weil er
                           ausschließlich zu Titeln rate, von denen nur wenige
                           Papiere am Markt sind – relativ geringe Käufe
                           können so die Kurse massiv nach oben treiben. Der
                           Wertzuwachs beruhe „oftmals auf spekulativen
                           Übertreibungen und weniger auf guten
                           Geschäftsaussichten der Unternehmen“, mahnt ein
                           anderer Experte. Diese Spekulation könne jedoch
                           schnell in sich zusammenstürzen, wann auch immer.
                           Prior selbst verweist auf Erfahrungen in den USA,
                           wonach kleine Wachstumstitel auf lange Sicht
                           jährlich „um ein paar Prozentpunkte“ stärker steigen
                           als Standardwerte. Ein noch größeres Plus sei bei
                           seinen „sorgfältig ausgewählten“ Favoriten zu
                           erwarten.

                           August Schäfer, Chef der Handelsüberwachung an
                           der Frankfurter Wertpapierbörse, stört die
                           Tatsache, daß dem Boom am Montagmorgen oft
                           ein jäher Absturz folgt. So rutschte der Kurs der
                           Mobilcom-Aktie von ihrem Hoch bei 1850 Mark
                           binnen weniger Tage auf 980 Mark ab.
                           „Privatanleger folgen Prior wie die Lemminge“, sagt
                           der Aufseher. Sie orderten, ohne ihre Aufträge zu
                           limitieren, also Höchstpreise für einen Kauf zu
                           nennen. Prior unterlasse es
                           „unverantwortlicherweise“, bei vielen Tips zum
                           Limitieren aufzufordern. Doch der mag die
                           Mahnungen nicht hören: „Meine Aufgabe ist es
                           nicht, das Volk zu erziehen.“ Er gebe Tips für
                           langfristige Anlagen, nicht für kurzfristiges Agieren.
                           „Und fast alle Titel liegen mittlerweile wieder über
                           den Höchstkursen, die sie nach einer Empfehlungen
                           erreicht hatten.“

                           Argwöhnische Kontrolleure

                           Doch fährt Aufseher Schäfer noch schwerere
                           Geschütze auf. Es gebe „gewisse Auffälligkeiten“
                           im Zusammenhang mit Priors Sixt-Empfehlung, er
                           spricht sogar von einem möglichen Gesetzesbruch.
                           Am Tag der Aufnahme der Sixt-Aktie ins
                           TV-Depot kamen drei Großorders – von Stellen,
                           „die in den vergangenen Jahren noch nie das Papier
                           gekauft hatten“. Das sei ein möglicher Hinweis auf
                           strafbaren Insiderhandel – „wenn jemand Kenntnis
                           erhielt, daß das Papier am Abend empfohlen wird,
                           könnte er in Erwartung von Kurssteigerungen
                           untertags zugekauft haben“, sagt Klaus-Dieter
                           Benner, als Staatskommissar im hessischen
                           Wirtschaftsministerium für die Börsenkontrolle
                           zuständig. Das Bundesaufsichtsamt für den
                           Wertpapierhandel in Frankfurt untersucht nach
                           Angaben eines Sprechers mittlerweile „bei einigen
                           Werten“, ob es zu Insiderhandel oder
                           Kursmanipulationen gekommen ist. Die
                           Ermittlungen liefen auch „im Zusammenhang mit
                           Tips in der 3sat Börse“.

                           Prior sagt, in seiner Umgebung erhalte keiner vorab
                           Kenntnis von seinen Depot-Änderungen oder
                           Empfehlungen. Er besitze zwar auch Werte aus
                           seinem Musterdepot, habe die jedoch erst gekauft,
                           „nachdem ich sie schon mehrfach empfohlen hatte“.
                           3sat-Börsenchef Nemec ist sich sicher, daß es in
                           seinem Haus keine undichte Stelle gebe. Prior
                           übermittle eventuelle Depot-Änderungen zwar
                           schon bis Freitag mittag an die Fernseh-Redaktion,
                           doch hätten nur er und zwei Mitarbeiter Zugang zu
                           den Informationen. „Wir alle haben noch nie Aktien
                           aus der Sendung besessen, und es ist
                           ausgeschlossen, daß die Tips an andere
                           weitergegeben werden.“ Der Dauer-Teilnehmer
                           habe der Sendung inzwischen erheblichen Ärger
                           eingebracht, sagt der Redaktionsleiter, aber „der
                           Erfolg gibt ihm recht“.

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                           SZ vom 7. Juli; Nr. 153, Seite 3