Hallo NewMoneys,

nachdem ich neulich die Marxsche Formel G-W-G' in einem Beitrag
erwähnte, um die Vorstellung zu widerlegen, den Kapitalisten ginge es
beim Profit um "handgreifliche Dinge" (Sachen, Waren), nicht jedoch um
Geld selber, habe ich mich gefragt, wie Marx die Relevanz dieser
Erkenntnis eigentlich übersehen konnte.

Es ist schon ein Wunder: Da sieht der alte Marx so deutlich wie man es
nur sehen kann das Wesen der Kapitalakkumulation. Und dann macht er
alles kaputt, indem er die Geldfrage im weiteren praktisch ignoriert.

Wie konnte ihm das passieren?

Ich denke, man muss die Erklärung darin suchen, dass Marx immer noch
stark von den Klassikern (Smith, Ricardo) beeinflusst war. Diese hatten
eine Theorie des Geldes entwickelt, die Stephen Zarlenga in seinem Buch
"Der Mythos vom Geld - Die Geschichte der Macht" sehr treffend als
"primitiv" bezeichnet hat. Nach dieser Theorie (die leider auch heute
noch vielfach an den Universitäten gelehrt wird, und die auch die
landläufige Vorstellung vom Geld immer noch prägt) ist ***Geld
ursprünglich eine Ware***. Man findet die gleiche Vorstellung in der Tat
bei Marx und exakt genau so auch in Achim's KIES-Buch.

Dabei fällt auf, dass diese Warengeldtheorie sich historisch durch
nichts belegen lässt. Im Gegenteil belegen die historischen Fakten
eindeutig, dass der Geldwert sich niemals in der Geschichte aus dem
Warenwert des Geld-Materials herleitete, dass der Geldwert stattdessen
hoheitlich festgelegt wurde (und zwar typischerweise *erheblich* höher
als der Marktwert des Geldmaterials). Hätten die Klassiker und
Neoklassiker der Ökonomie es nicht strikt vermieden, sich mit den
historischen Fakten auseinanderzusetzen, ja sogar die historische
Forschung z.T. als nutzlose Zeitverschwendung betrachtet, wären ihnen
diese Tatsachen und ihre Unvereinbarkeit mit der gängigen Theorie nicht
so vollständig entgangen.

Hand in Hand mit der Warengeld-Theorie geht die ebenso primitive
Vorstellung, dass das Geld eigentlich für das Funktionieren der
(kapitalistischen) Wirtschaft im Grunde unerheblich sei, das es
lediglich eine Erleichterung des Warentausches darstelle. Dieser
Warentausch nun sei es, auf den es eigentlich ankomme. Das Geld ist dann
nur eine besondere ware, bei der man sich irgendwann geeinigt hat, sie
als Wertmaßstab und in Foilge als Tauschmittel zu verwenden.

Auch hier widersprechen die historischen (und anthropologischen) Fakten
der Theorie. So findet man nirgendwo Vorformen der heutigen
Geldwirtschaft, in denen der Warentausch eine wirtschaftliche Relevanz
hätte. Warentausch, so er stattfindet, beschränkt sich auf den Austausch
von *Überschüssen* über die Subsistenzproduktion hinaus, hat also keine
überlebenssichernde Funktion, sondern gerade im Gegenteil die Funktion
des Abbaus von Produktion, die über das notwendige hinaus geht.

Nachdem nun Marx sowohl die Warengeld-Theorie, als auch das
Tauschparadigma gefressen hat, kann er die Sache mit dem W-G-W' nicht
mehr erfolgreich weiter verfolgen. Denn wenn der Warentausch das
grundlegende Merkmal der kapitalistischen Wirtschaft ist, dann muss ja
wohl die Ware im Mittelpunkt stehen, nicht das Geld, welches ja nur den
Tausch erleichtern soll. Folgerichtig konzentriert er sich beim G-W-G'
ausgerechnet auf die Ware, dieses für den Kapitalisten vollkommen
uninteressante Zwischenglied, und glaubt nun, eine besondere Ware
gefunden zu haben, mit der er die Tatsache, dass hinten mehr Geld
herauskommt als man vorher hinein gesteckt hat, erklären kann: die Ware
Arbeitskraft bei der der "Tauschwert" geringer sei als der
"Gebrauchswert". Hier verwickelt er sich in diverse Widersprüche.

Nachdem er die Gebrauchswerte der Waren zunächst eindeutig als nicht
miteinander kommensurabel also auch nicht quantifizierbar herausgestellt
hat (außer allenfalls bei Waren der genau gleichen Sorte), verlässt er
diese Position bei der Ware Arbeitskraft mir nichts dir nichts. Alle
Arbeit wird nun plötzlich als vollkommen gleich angesehen und daher -
natürlich - auch kommensurabel und quantifizierbar. Die einzelnen
Arbeiten unterscheiden sich auf einmal nur noch nöchstens *quantitativ*,
wo sie vorher noch *qualitativ* verschieden waren. Die Menschen
unterscheiden sich also als Konsumenten, so sie mal dies mal jenes
konsumieren, als Arbeiter sind sie alle gleich, egal ob sie Schuhe
putzen oder quantentheoretische Formeln herleiten, ob sie Symphonien
komponieren oder eine Straße pflastern. So kann am Ende die
Arbeitsstunde als das Maß aller (Wert-)Dinge postuliert werden,
kulminierend im "Gesetz des gleichen Arbeitslohns".

Dazu kommt noch, dass bei der Ware Arbeitskraft zulässig sein soll, was
bei allen anderen Waren verboten ist: nämlich den "Tauschwert" (was bei
naiver Betrachtung zunächst der durchschnittliche Preis sein sollte) in
Relation zu setzen zum Gebrauchswert (i.e. Nutzen). Dabei stellt sich
die Frage, warum bei der Arbeit der Nutzen in "Wertschöpfung"
quantifiziert werden darf, nicht jedoch etwa bei einer Maschine. Führt
die Verwendung der letzteren bei gleicher Arbeit zu mehr Produkten also
zu höherer Wertschöpfung (gemessen am momentanen Preis der Produkte),
als sie gekostet hat, so ließe sich mit gleichem Recht sagen, dass jetzt
die Maschine "ausgebeutet" wird.

Wenn man natürlich vom Arbeitswertgesetz als einem Axiom *ausgeht*, d.h.
wenn man per Definition alle Werte an der Arbeitsstunde misst, dann ist
es natürlich *trivialerweise* richtig, dass die neue Maschine keine
Wertschöpfung betreiben kann, da ja eben die hineingesteckte Arbeit das
Maß für den Wert darstellt und es muss ja für das Mehrprodukt nicht mehr
gearbeitet werden (obwohl mehr produziert wird). Aus marxistischer Sicht
ist der Gesamtwert aller Waren eine Konstante, mögen auch Jahrhunderte
ins Land gehen, solange nur gleich lange gearbeitet wird. Dass es selbst
dem einfachsten Arbeiter heute 100mal besser geht als zu Zeiten von
Marx, spielt dabei nicht die allergeringste Rolle. Denn das sind ja
alles "nur" Gebrauchswerte, keine Tauschwerte, die der Arbeiter sich von
seiem Lohn mehr kaufen kann. Nach marxschen Tauschwerten gerechnet wird
heute im Gegenteil der Arbeiter 100mal mehr ausgebeutet als damals.

Es ist erstaunlich, wie hier ein intuitives Verständnis des
Wertbegriffes mit einem angeblich "wissenschaftlichen" Wertbegriff
zunehmend auseinander klafft. Aus Reichtum wird so Armut, aus Überfluss
wird Mangel. Die Bedürfnisse der Menschen, zumindest die materiellen,
die ja durch die kapitalistische Wirtschaft heute in viel größerem Maße
befriedigt werden, als vor 100 Jahren, ja sogar in einem solchen Maße,
dass ständig neue Bedürfnisse erzeugt werden müssen, um die immer größer
werdende Flut von Waren auch absetzen zu können, all der ganze Reichtum
ist, folgt man dem Marxschen Wertbegriff, eben *nicht* mehr wert, weil
ja die Menschen nicht mehr dafür schuften (müssen).

Man solte sich das auf der Zunge zergehen lassen: Nach der
Arbeitswertlehre geht es dem Arbeiter, sobald er sich bei gleicher
Arbeit *mehr* Konsum leisten kann, *schlechter* als vorher.

Wie kann man im übrigen den Umstand erklären, dass diese ungeheure
Deflation der "Warenwerte" sich keineswegs in den Warenpreisen spiegelt,
diese sich vielmehr nach einem offenbar ganz anderen Muster entwickeln,
als der "Wert" dieser Waren? Wie Achim in seinem Buch schon bemerkt hat,
käme dies einer ungeheuren Inflation gleich, die Geldmenge müsste also
gewaltig gestiegen sein. Das ist nun tatsächlich der Fall, aber es
bleibt die Frage: warum?

Wenn "Wert" im marxschen Sinne und Preis als reale wirtschaftliche
Gegebenheit so stark auseinander fallen, liegt das dann vielleicht
(auch) an einer falschen Vorstellung vom Geld und seiner Funktion in der
kapitalistischen Wirtschaft?

Ich denke, dass in der Formel G-W-G' viel mehr steckt, als man auf den
ersten Blick sieht. Vor allem steckt darin die im Grunde einfache aber
enorm wichtige Tatsache, dass das Geld bei diesem Prozess *am Anfang*
steht, wie auch *am Ende*. Eine Wirtschaftstheorie, die davon ausgeht,
dass Geld "einfach da" ist (nachdem es wie eine Ware mittels
Arbeitseinsatz "produziert" wurde, weil man Form und Inhalt nicht
trennt) und nur dem "Warenaustausch" dient, kann daher den
Wirtschaftsprozess, wie er tatsächlich abläuft, nicht verstehen. Marx
beschäftigt sich interessanterweise ja auch mit der Frage, wo das G im
G-W-G' eigentlich ursprünglich her kommt. Er stellt diese Frage als die
nach der "ursprünglichen Akkumulation". Da er aber der falschen
Warengeld-Theorie anhängt, das Geld also mit dem Material identifiziert
aus dem es besteht, stellt sich die Frage nach dem Ursprung des Geldes
gar nicht, sondern nur danach, wie es in genügender Menge in die Hände
des Kapitalisten gelangt (nämlich durch gewaltsame Aneignung, d.h. Raub
und Mord).

Eine korrekte Vorstellung vom Geld als einem Symbol, einem Zeichen
dessen grundlegender Charakter rein informativ ist, weil es
*Eigentumsverhältnisse*, also Rechtsverhältnisse dokumentiert, eröffnet
ganz andere Erklärungen, sowohl der ursprüglichen, als auch der
entwickelten Akkumulation, wobei die ursprügliche Akkumulation dann als
ein - auch heutzutage - permanent wirksamer dynamischer Prozess
begriffen werden kann. Die Vorgänge der *Geldschöpfung* und der
*Verschuldung* treten dabei in den Vordergrund der Betrachtung, weil sie
in der entwickelten Geldwirtschaft den Anfangspunkt einer jeden
wirtschaftlichen Aktivität darstellen.

Ben