Ernst Dorfner
Fetisch contra Mantra
Ein Vorwurf an attac,
und wie von E. Altvater, W. Onken u. M. Kennedy
damit umgegangen wird
1.
„Ein Teil
der Attac-Mitglieder mag nicht wahrhaben, dass Globalisierungskritik Gefahr
läuft, nicht nur in Nationalismus, sondern auch in Antisemitismus abzugleiten.
Wenn über ‚das Finanzkapital’ oder ‚die Wall Street’ geraunt wird, ruft dies
das alte Vorurteil vom geldgierigen Juden wach. Etliche Globalisierungskritiker
erliegen der Versuchung, für unübersichtliche Entwicklungen Sündenböcke
verantwortlich zu machen. Die komplexen Zusammenhänge der Globalisierung
reduzieren sie auf ein Komplott dunkler Mächte...Doch wer an Verschwörungen
glaubt, denkt auch die Verschwörer implizit mit, Und das nächstliegende
Stereotyp dafür sind ‚die Juden’“ [1]
So Toralf Staud in „Die Zeit“ (Nr 44/2003) Ein harter Vorwurf. Auch ein ungerechtfertiger Vorwurf ? Elmar
Altvater jedenfalls hält ihn für ungerechtfertigt. Doch begründet er das nicht.
Er sieht jedoch einige Trittbrettfahrer in der Anti-Globalsierungsbewegung, die
gegen den Vorwurf des Antisemitismus nicht gefeit sind. Dazu zählt er auch und
vor allem die Anhänger von Silvio Gesell,
die Gesellianer.
2.
Bleiben wir aber zuerst doch bei
der Kernschicht der Anti-Globalisierer, bleiben wir bei Altvater selbst. Im
Impulsreferat zum ATTAC-D-Ratschlag in Aachen am 17.10.2003, veröffentlich im
"FREITAG" Nr. 44) heißt es:
„Zurück nach Europa. Auch im Eurogebiet ist die Primärbilanz aller Staatseinnahmen und -ausgaben strukturell
positiv, im vergangenen Jahr mit 1,8 Prozent. In Deutschland werden ebenfalls
leichte Überschüsse erzielt. Wie kommt es dann zur Jammerdebatte um den Bruch
des Maastrichter Stabilitätspaktes? Erst wenn man den Schuldendienst
mitberechnet, der im Sekundärbudget
eingestellt wird, kommen die Defizite der öffentlichen Haushalte zustande, die
nun ein großes Geschrei um die "Verletzung des Maastrichter
Stabilitätspaktes" auslösen. Es müsse gespart, der Gürtel enger geschnallt
werden. Nach Adam Riese wären ja bei positivem Wachstum und einem primären
Überschuss des Staatshaushalts leichte Zuwächse für alle möglich. Doch die
Logik der Gespensterwelt lautet in aller Schlichtheit: Wenn der Staatshaushalt
insgesamt defizitär ist, dann rührt bitte sehr das dafür verantwortliche defizitäre
Sekundärbudget nicht an, Zinszahlungen an die Halter von Staatsanleihen sind
tabu. Nicht aber die Sozialausgaben und die Einnahmen aus Steuern und Abgaben
auf Löhne und Gehälter. Schneidet dort und reduziert hier, um den Überschuss im
Primärbudget zu steigern.
Die Zinszahlungen im Sekundärbudget gelten als sakrosankt. Das Kapital
ist bekanntlich ein scheues Reh – und das bei realen Zinssätzen, die seit
Jahren überall in der Welt oberhalb der realen gesamtwirtschaftlichen
Wachstumsrate liegen. Selbst derzeit sinkende Nominalzinsen sind noch zu hoch,
weil gesamtwirtschaftliches Wachstum und die Inflationsrate in einer Lage, in
der der IWF bereits deflationäre Gefahren erblickt, gegen null gehen. Alle
reden von der "Gerechtigkeitslücke", die Haushaltssanierer aller
Länder machen sie, auch die Bundesregierung.
Mit der Agenda 2010, mit Kürzungen bei Arbeitslosengeld und
Krankenversicherung, mit einer Verschlechterung des Kündigungsschutzes und
durch Lohnabbau im Niedriglohnbereich, durch Einschnitte bei Renten und
Pensionen, mit Angriffen auf den öffentlichen Dienst und damit auf die
Versorgung der Bevölkerung wird ein
mächtiger Schlag zu Gunsten derjenigen geführt, die über Geld und Kapital
verfügen.“ (Altvater 03, S. 3ff[2])
Dies
ist wohl richtig, aber dennoch auch zu jener Personifizierung geeignet, vor dem
„Die Zeit“ warnt. Die Sündenböcke sind ausgemacht: Es sind die, die über Geld
und Kapital verfügen. Die Finanzkapitalisten, die Bezieher von Kapitalerträgen
und Zinseinkünften. Eben die ...
So heißt es bei Altvater denn auch weiter:
„Was hierzulande Hartz-, Rürup-, Herzog-Kommission oder die Agenda 2010,
das sind in anderen Weltregionen die Strukturanpassungsprogramme von IWF und
Weltbank. Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind in gleichem Maße zur
"Gestaltung der Erneuerung", wie die Sozialdemokratie ihr Projekt
2010 bezeichnet, aufgerufen. Die Generosität denjenigen gegenüber, die
Kapitalerträge und Zinseinkünfte beziehen, ist ebenso einseitig wie die
Austerität, die denen abverlangt wird, die auf Arbeitseinkommen angewiesen sind
oder keine Arbeit haben bzw. aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind. Das ist
ein "Konsens von Washington",
den dessen Urheber gern auf alle Welt ausdehnen würden. Der Grüne Bütikofer ist
dabei, Verzicht und Sparen, so meint er, finden zu Gunsten des Gemeinwesens
statt. Diejenigen werden mit keiner Silbe erwähnt, die sich aus der
Solidargemeinschaft, reichlich mit rot-grünen Steuergeschenken belohnt, haben
verabschieden dürfen.“ (Altvater 03, S. 4)
Der „Konsens von
Washington“ – ein Komplott dunkler Mächte?: Welche Personen haben sich da auf
was geeinigt? Verschwörerisch geeinigt?? Denn:
„Geld regiert die Welt, und zwar in einem Ausmaß, das sich der Urheber
des Wortes, Pubilius Syrus aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung,
niemals hätte vorstellen können. Geld
ist eine soziale Beziehung zwischen denen, die es haben, und denjenigen, die es
benötigen, zwischen Geldvermögensbesitzern und Kapitaleigentümern einerseits
und Schuldnern andererseits. Die letzteren haben Schuldendienst zu leisten,
der zum Zuwachs der Geldvermögen und des Kapitals beiträgt. Dass so die
Ungleichheit in der Welt zunimmt, ist wenig verwunderlich. Das Millenniumsziel
der Armutsreduktion wird auf der Strecke bleiben. In ihrem jüngsten Report über
die Ungleichheit in Lateinamerika und der Karibik muss die Weltbank
eingestehen, dass in vielen Ländern die Reichen reicher und die Armen wohl
ärmer geworden sind; die 10 Prozent reichsten Haushalte verfügen über 48
Prozent der Einkommen, die zehn Prozent ärmsten über gerade einmal 1,6 Prozent
(Weltbank 2003). “(Altvater 03, S. 4)
Dem möchte man eigentlich
zustimmen. Das jedoch ist das Gefährliche daran. Denn die Wortwahl projeziert
unterschwellig ein verfälschtes Bild, das zu einem Pauschalurteil verführt: Die
„bösen“ Geldvermögensbesitzer und Kapitaleigentümer als die Reichen, denen die
„guten“ Armen als Schuldner gegenüberstehen.
Zwar ist es richtig, dass
die Geldvermögensbesitzer und Kapitaleigentümer die gutsituierten bis
höchstvermögenden Gläubiger sind, aber die Armen sind nicht die Schuldner.
Allerdings sind die Armen die von den Schulden des Staates Betroffenen. Hier
und anderswo. Weil dieser einen Gutteil seiner Einkünfte an die Bezieher von
Zinseinkünften zahlen muss. Nicht nur in den Entwicklungsländern, sonder auch
in Deutschland. Hier sind es 70 Mrd. Euro jährlich, die statt ins Sozial – und
Bildungsbudget zun den Reichen fließen.
Wer aber sind dann die
Schuldner? Machen wir eine Blick in die Statistik:
|
Private Haushalte |
Nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften |
Staat |
Monetäre Finanzinstitutionen |
Geldvermögen |
3.730,5 |
1.901,1 |
301,6 |
5.462,5 |
Geldschulden |
1.535,0 |
3.142,4 |
1.325,4 |
5.278,0 |
Netto-Geldvermögen |
2.195,5 |
|
|
184,5 |
Netto-Geldschulden |
|
1.241,3 |
1.023,9 |
|
Tab. 1: Geldvermögen und
Geldschulden für 2002 in Mrd. Euro, Quelle: Bundesbank, Finanzierungrechnung 1991
bis 2002, Tab. XI
Wir
sehen: Die Geldvermögen sammeln sich bei den privaten Haushalten, während die
größten Schuldner die Nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften sind, also die
Unternehmen. Die größten Netto-Schuldner wiederum sind die Unternehmen, gefolgt
vom Staat. Sie sind Schuldner gegenüber den privaten Haushalten, aber als
Einzelne auch Schuldner gegenüber anderen Unternehmen, etwa in Form offener
Rechnungen, die beim Gegenüber als Geldvermögen zu Buche schlagen.
Aber
auch die privaten Haushalte haben hohe Schulden. Das aber sind gerade nicht die
Armen, sondern die Reichen und der Mittelstand. Die Armen können nämlich –
abgesehen von nichtbezahlten Rechnungen und Teilzahlungen in der Lebensführung
und damit einer in Relation gesehen untergeordneten Größe –
keine Schulden haben, weil sie ja mangels Vermögen gar keine Kredite
aufnehmen können.
Zu
den Haushalten zugerechnet werden aber auch alle Einzelunternehmer wie
Freiberufler, Künstler, Kleingewerbetreibende, usw, also alle Unternehmen, die
keine Kapitalgesellschaften sind. So verbirgt sich auch hier hinter der
Statistik ein sehr differenziertes Bild.
Am
ehesten als homogenes Gebilde kann der Staat betrachtet werden, wiewohl es auch
hier zwischen den einzelnen
Gebietskörperschaften Gläubiger/Schuldner-Verhältnisse gibt, wie auch aus der
Position „Geldvermögen des Staates“ abgeleitet werden kann.
3.
Um
es nochmals zu sagen: Natürlich wirken sich die Schulden des Staates ganz deutlich
auf die Lebensumstände der Armen aus. Das soll auch mit der Tabelle nicht
bestritten werden. Sie sollte aber deutlich machen, dass die Zusammenhänge
vielschichtiger sind als mit ideologisch verkürzten Aussagen dargestellt wird,
die dann jenes Unterfutter darstellen, auf denen Verschwörungstheorien auf beiden Seiten wuchern können. Die dann dazu
führen können, dass die „Tat“ irgendwann zum „Täter“ mutiert.
„Eric Hobsbawm hatte Recht, als er das "kurze 20. Jahrhundert"
als ein Jahrhundert des Wachstums bezeichnete und das 21. Jahrhundert als
Jahrhundert der Verteilung voraussah. Er hatte damit freilich nicht eine so schamlose Umverteilung von unten
nach oben gemeint, wie sie derzeit überall in der Welt erzwungen wird.
Diejenigen, die sich dagegen zur Wehr setzen, stehen plötzlich als Anwälte der
Verkrustung, als Feinde der Flexibilität und Modernität, als Reformbremser, als
konservative Besitzstandswahrer da. Wenn sie sich zur Wehr setzen, laufen sie
Gefahr, von den konservativen Rechtsaußen als "Terroristen"
eingestuft zu werden.“ (Altvater 03, S.4ff)
Es ist schon richtig, wenn
vermerkt wird, dass die Reichen immer reicher werden. Worin aber besteht ihr
Reichtum, der da verteilt werden soll? Schauen wir uns doch Tab. 1 nochmals an:
Das Geldvermögen der privaten Haushalte besteht zum Teil auch in den Schulden privater Haushalte.
Wohlgemerkt: Schulden. Also in längerfristig zu erfüllenden Ansprüchen an
andere Haushalte, die aber gerade das Geld nicht oder noch nicht haben. Denn
sonst würden sie ja ihre zinsbelasteten Schulden tilgen. Verkürzt: Der Reichtum
der einen besteht in noch nicht erfüllbaren Verpflichtungen von anderen.
Des weiteren kann man
sagen: Dem Netto-Vermögen der Haushalte entsprechen auf der anderen Seite die
Netto-Schulden der Unternehmen und des Staates zusammen. Oder wiederum
verkürzt: Das Vermögen besteht in den Schulden der anderen, also in
Forderungen. „Geld ist eine soziale
Beziehung ....“ schreibt Altvater weiter oben. Dem ist zuszutimmen. Wenn es
aber dann weiter heißt: „ .... zwischen
denen, die es haben, und denjenigen, die es benötigen, zwischen Geldvermögensbesitzern und Kapitaleigentümern einerseits und
Schuldnern andererseits“, dann ist das ein Bruch, ein Rückfall in der so
richtig eingeleiteten Beschreibung von Geld: Die soziale Beziehung, die immer nur zwischen zwei (oder mehr)
Menschen bestehen kann, wird rasch wieder in ein Ding verwandelt, das einer allein haben kann. Geld ist eine soziale Beziehung zwischen Schuldnern und Gläubigern,
aber keine soziale Beziehung zwischen denen, die es haben, und jenen, die es
benötigen.
Der Reichtum besteht in
längerfristig zu erfüllenden Forderungen in Geld an andere, nicht aber in
etwas, das den einen genommen und den anderen gegeben werden kann. Diese
zeitlich gebundenen Forderungen können aber soweit „zu Geld gemacht“ – also in
sofort fällige Forderungen verwandelt -- werden, soweit sich hierfür Käufer am
Vermögensmarkt finden. Das aber heißt auch, dass es Geldvermögen nur so lange
gibt, wie es Vermögende gibt, die es wegen eines Vorteils an sich bringen
wollen. Geldvermögen ist also nichts Absolutes, sondern nur ein Relatives, eben
eine Beziehung.
Da also die Geldvermögen
nur umgeschichtet, nicht aber in Summe zu Geld gemacht werden können, stellt
sich die Frage, welche Folgen auf dem Vermögensmarkt eine - so wie sie
angedacht ist -- bessere Verteilung der Vermögen der Vermögenshaushalte auf alle Haushalte hätte. Weil ja der zu erzielende Preis vom Verhalten der Verkäufer einerseits und der
Käufer andererseits abhängt.
Statt dies aufzuklären,
beschwört Altvater immer wieder Stereotype:
„Von einigen werden die Kürzungen bei Gesundheitsleistungen und
Pensionen genutzt, um die Alten für die Belastung der Jungen verantwortlich zu
machen und nach "Generationengerechtigkeit" zu rufen. Diese Art Gerechtigkeit wird gesponsert von
Versicherungskonzernen und Pensionsfonds, die sich bei der Privatisierung
von Alters- und Gesundheitssicherung ein schönes Geschäft versprechen. Doch
Gerechtigkeit zwischen Generationen mit einer Versicherungspolice kaufen zu
wollen, ist ein törichtes Unterfangen“. (Altvater 03, S. 5)
Das ist schon richtig, was
hier Altvater sagt. Unser Alterssicherungs- und Gesundheitssystem leidet schwer
unter der Belastung des Staatshaushaltes mit den Zinsen für die Schulden des Staates.
Dennoch wird hier wieder vereinseitigt
argumentiert, eine Verschwörung von Konzerenen und Fonds gezeichnet, die
ja dann auch die Züge bestimmter Menschen annehmen. Mit der Dingfestmachung von
Dunklen Mächten wird dann davon abgelenkt, dass es so etwas wie einen
Generationenvertrag immer geben wird müssen. Denn immer muss die aktive
Generation für die Nachkommenden und die Alten mit ihrer Arbeit sorgen.
„Perverserweise kommen dabei hohe und steigende private Geldvermögen zustande und ihre Besitzer suchen nach
rentabler Kapitalanlage. Die Verschuldung des öffentlichen Sektors ist
dabei von denen hoch willkommen, die sonst nach Einsparungen rufen. Die Zinsen
auf die Staatsschuld, die im sakrosankten Sekundärbudget verbucht werden, kommen den privaten Anlegern zu
Gute. Kürzungen im Primärbudget,
also im Sozialhaushalt, sind unvermeidlich und werden von ihnen begrüßt. Das ist ein Perpetuum mobile der Umverteilung
von unten nach oben, und zwar in globalem Maßstab. Man wird diesen
verrückten Mechanismus anhalten müssen, um überhaupt an die tatsächlich
notwendigen Reformen der sozialen Sicherungssysteme, an die Schaffung einer
sozialen Demokratie im 21. Jahrhundert heran gehen zu können.“ (Altvater 03, S.
11)
Wiederum wird deutlich, wie
wenig Altvater seine eigene Meinung verinnerlicht hat, dass Geld eine soziale
Beziehung ist. Private Geldvermögen können ja gar nicht entstehen, wenn nicht
gleichzeitig und uno actu auch
Geldschuldner entstehen. Auch er verfällt immer wieder in das alte
Vorstellungsschema eines Gelddings, das für sich allein vorhanden ist, das der
eine haben kann, oder ein anderer, und das von einem zum anderen verschoben
werden kann.
Was
also hat Altvater den Gesellianern vorzuwerfen?
In
einer Schußbemerkung schreibt er.
„Es spricht einiges dafür, dass der
Antisemitismus, auch wenn er nicht explizit geäußert wurde, strukturell immer
vorhanden war. Es ist also nicht allein
der Waren- und Geldfetisch, der dazu veranlasst, dass soziale Beziehungen ein
Gesicht bekommen und dieses Gesicht zum Feindbild des Antisemiten werden kann. Dies
kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn das Geld und die globalen
Finanzmärkte nicht als verselbständigte Gestalten, sondern immer mit ihren
sozialen Beziehungen im Rahmen einer Kritik der Politischen Ökonomie analysiert
werden, also in einem Rahmen, den Silvio Gesell ganz explizit
ablehnt. An der Marx’schen Geldtheorie nämlich bemängelt er, dass „die
Aufmerksamkeit des Proletariats vollkommen vom Geld abgelenkt und die
Börsenräuber, Wucherspieler, Spitzbuben unmittelbar in den Schutz der
besitzlosen Klasse, des Proletariats gestellt“ worden sind (Gesell 1920: 325). Die Übel des Geldes sind personifiziert.
Dies hat Konsequenzen für die „ökonomische Alphabetisierung“ (Bourdieu). Zinsen
kann man nicht abschaffen, ohne die kapitalistische Gesellschaftsformation zu
überwinden. Aber man kann sie regulieren, durch geeignete wirtschaftspolitische
Maßnahmen auf nationaler wie globaler Ebene. Dafür müssen Konzepte
ausgearbeitet werden, um die fatale Hilflosigkeit gegenüber vorgeblichen
Sachzwängen der Globalisierung zu überwinden und vor allem jede
Sündenbockannahme zu unterbinden. Nur so ist die Immunisierung gegenüber den
Gefährdungen eines strukturellen Antisemitismus möglich.“ (Altvater 04, S.34 ff[3])
An diesen
Aussagen ist etliches, oder vieles sogar, bedenkenswert. Geld und die globalen Finanzmärkte sollten
nicht „als verselbständigte Gestalten, sondern immer mit ihren sozialen
Beziehungen“ (oder: als „soziale Beziehungen“) analysiert werden. Aber wie sehr
hält sich Altvater selbst an diese Einsicht? Eben auch nicht, um es nochmals zu
sagen. Er redet zwar von „sozialer Beziehung“, doch bleibt das eine leere
Hülle, ein Wortmonstranz, mit dem gut geredet werden kann, ohne etwas zu sagen.
„Doch nur auf das Geld und seine Zinseszinsdynamik
zu schauen und die Verknüpfung mit dem kapitalistischen Produktionsprozess aus
dem theoretischen Horizont zu entfernen, ist Liebedienerei am Geldfetisch, auch wenn diese gar nicht
beabsichtigt sein sollte. Das Geldrätsel existiert für diese Geldheiler nicht,
weil statt Fragen nur Antworten da sind, oder das rational auflösbare Rätsel
als Mysterium irrational verklärt wird.“ (Altvater 04, S. 12)
Klärt das
auf, woran es der Gesell’sche Theorie wirklich mangelt? Warum der Vorwurf , wenn selbst mit der
Wortblase „Geldfetisch“ argumentiert wird, anstatt über bilanzmäßige
Zusammenhänge und Gegebenheiten wirklich aufzuklären. Dient das dazu,
Sachzusammenhänge aufzuklären, anstatt Personifizierung zu provozieren?
„Was wird nach der schweren Krise
der neoliberalen Globalisierung folgen? Wohl kaum das Ende des Kapitalismus,
wohl aber Konzepte der Regulierung globaler Kreisläufe zusammen mit der
Gestaltung lokaler, solidarischer Ökonomie. Die Ökonomie muss wieder in die Gesellschaft zurück geholt werden, das
Soziale muss gegen die Gier der Ökonomie verteidigt werden. Wenn
dies in diesem Lande im parlamentarischen Raum nicht mehr möglich ist, weil
Rotgrün in entscheidenden Politikfeldern nichts wesentlich anderes praktiziert
als Schwarzgelb, dann müssen Frieden in der Welt und sozialer Ausgleich in
diesem Land und anderswo außerparlamentarisch
von sozialen Bewegungen verteidigt werden, so wie sie hier präsent sind.“
(Altvater 03, S. 10)
Immer wieder vieles, dem
man zustimmen möchte. Doch gleich zögert man. Wieder wird mit einem Fetisch
gewachelt: „Die Gier der Ökonomie“. Ein Mysterium? Müssen das nicht die
leibhaftig Gierigen sein, die nur mehr um des Raffens willen raffen? Die eh schon dingfest gemacht wurden, die
Ackermanns und Ezard Reuters und Ron Sommers und .....??
Mit pointierter Verkürzung der Realitäten in Wortmonstranzen wird Schwarz-Weißmalerei
betrieben, die unterschwellig personifiziert, werden hie die Guten, dort
die Bösen dingfest macht : Das alte
Rezept, wie man entsprechende Akklamation
erzielt.
Was mit differnzierter
Analyse wohl viel schwerer bis unmöglich ist.
4.
Hier nochmals die Frage, was denn Altvater den Gesellianer wirklich
vorzuwerfen hat? Halten wir uns doch noch einmal an seine eigenen Worte:
.“Die Zinszahlungen im Sekundärbudget gelten als sakrosankt. Das Kapital
ist bekanntlich ein scheues Reh – und das bei realen Zinssätzen, die seit
Jahren überall in der Welt oberhalb der realen gesamtwirtschaftlichen
Wachstumsrate liegen. Selbst derzeit sinkende Nominalzinsen sind noch zu hoch,
weil gesamtwirtschaftliches Wachstum und die Inflationsrate in einer Lage, in
der der IWF bereits deflationäre Gefahren erblickt, gegen null gehen. Alle
reden von der "Gerechtigkeitslücke", die Haushaltssanierer aller
Länder machen sie, auch die Bundesregierung.
Mit der Agenda 2010, mit Kürzungen bei Arbeitslosengeld und
Krankenversicherung, mit einer Verschlechterung des Kündigungsschutzes und
durch Lohnabbau im Niedriglohnbereich, durch Einschnitte bei Renten und
Pensionen, mit Angriffen auf den öffentlichen Dienst und damit auf die
Versorgung der Bevölkerung wird ein
mächtiger Schlag zu Gunsten derjenigen geführt, die über Geld und Kapital
verfügen.
Geld regiert die Welt, und zwar in einem Ausmaß, das sich der Urheber
des Wortes, Pubilius Syrus aus dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung,
niemals hätte vorstellen können. Geld
ist eine soziale Beziehung zwischen denen, die es haben, und denjenigen, die es
benötigen, zwischen Geldvermögensbesitzern und Kapitaleigentümern einerseits
und Schuldnern andererseits. Die letzteren haben Schuldendienst zu leisten,
der zum Zuwachs der Geldvermögen und des Kapitals beiträgt. Dass so die
Ungleichheit in der Welt zunimmt, ist wenig verwunderlich. Das Millenniumsziel
der Armutsreduktion wird auf der Strecke bleiben. In ihrem jüngsten Report über
die Ungleichheit in Lateinamerika und der Karibik muss die Weltbank
eingestehen, dass in vielen Ländern die Reichen reicher und die Armen wohl
ärmer geworden sind; die 10 Prozent reichsten Haushalte verfügen über 48
Prozent der Einkommen, die zehn Prozent ärmsten über gerade einmal 1,6 Prozent
(Weltbank 2003).“ (Altvater 03, S. 3ff)
Das könnte nun fast auch
ein Gesellianer geschrieben haben. „Geld
ist eine soziale Beziehung zwischen denen, die
es haben, und denjenigen, die es benötigen“: Da lese ich Dieter Suhr heraus. Nur von „sozialer
Beziehung“ hat dieser nichts gesagt.
Deshalb soll
das Interesse hier nun darauf gelenkt werden, was denn Onken in seiner Replik[4]
auf Altvater zu sagen hat.
In seinem Papier geht
es im wesentlichen nur um die Bemühung, die persönliche Integrität der von
Altvater angeshwärzten, meist schon lange verstorbenen Gesellianer, wieder
herzustellen. In der Sache selbst
widerspricht er aber Altvater eher nicht.
„In einem anderen Kritikpunkt möchte ich Elmar
Altvater jedoch entgegenkommen und ihm zustimmen, dass Gesell und seine
Anhängerschaft oftmals den „gesellschaftlichen Kontext“ vernachlässigt und eine
“Geldtheorie ohne Gesellschaftstheorie” betrieben haben. Ansatzweise wurde der Produktionsprozess im
5. Kapitel seines Hauptwerks und an anderen Stellen durchaus mitbedacht; aber
es wurde versäumt, die Geldkritik auch systematisch zu einer Theorie der
Wettbewerbsbeschränkungen und zu einer Konzentrations- und Monopoltheorie auszubauen.“(Onken,
S.13)
Das ist nun aber
wirklich wenig. Die Vorstellung von Geld als soziale Beziehung kommt hier und
auch anderswo in Onkens Text nicht vor. Warum aber? Hält Onken das für falsch?
Oder so irrelevant, dass er dem nicht einmal in einem Satz widerspricht? Als
Leerformel?
Onken hätte
zumindest deutlich sagen müssen, dass die orthodoxen Gesellianer in Geld ein Ding sehen – und eben keine soziale
Beziehung. Hat er das nun deshalb nichts gesagt hat, weil das für ihn so eine
Selbstverständlichkeit ist, dass ihm gar nicht in den Sinn kommt, es könnte
anders sein? Das, was Altvater sagt, nur marxistisches Wortgeplänkel sein kann?
Onken hat auch
dann nichts zu sagen, wenn Altvater über
das Wörgler Experiment u.a. so urteilt:
„Viertens bestätigt das Experiment von Wörgl,
dass Schwundgeld zu einer Beschleunigung der Geldzirkulation beiträgt: Jeder
möchte es so schnell wie möglich loswerden, um die monatliche Geldentwertung
von 1% zu vermeiden. Die Vergrößerung
der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wirkt so, als ob die Geldmenge ausgedehnt
worden wäre. Dies kann durchaus
inflatorische Tendenzen bestärken oder auslösen. In einer schweren Krise
wie 1932 kann dies ja erwünscht sein, doch waren die umlaufenden Beträge im
Vergleich zur offiziellen Geldzirkulation so gering, dass die Wirkung verpuffen
musste.
Damit sind wir beim entscheidenden Defizit des
Frei- oder Schwundgeldes, nämlich bei der Nichtberücksichtigung
der Reproduktionszusammenhänge, deren synthetischer Ausdruck das Geld ist.
Am Geld herum zu experimentieren, ohne die sozialen und ökonomischen
Reproduktionsbedingungen prinzipiell anzutasten, ist der Versuch, Symptome zu
kurieren.“( Altvater 04, S. 23ff)
Geht es nur
um die Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit – oder geht es um die Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit
im Reproduktionszusammenhang? Müssen nicht auch die Waren schneller nachrücken,
wenn das Geld schneller umläuft? Oder sind die sowieso immer wieder zur rechten
Zeit da? Ist es richtig, dass die Gesellianer diese Zusammenhänge überhaupt
nicht berücksichtigen? Wobei es nicht allein
darum geht, „die Geldkritik auch systematisch zu einer Theorie der
Wettbewerbsbeschränkungen und zu einer Konzentrations- und Monopoltheorie
auszubauen“, wie Onken meint. Zu fragen ist ja doch zuerst, in welcher Gesellschaft die
Produktionszusammmehänge grundsätzlich wie
ausschauen, ehe man über bestimmte detaillierte Ausformungen spricht.
Jedenfalls kann
Altvater weiterhin unwidersprochen
solange Kritik üben, wenn von den Gesellianern mehr vorausgesetzt als konkret gesagt wird, was Geld denn ist, aber
nicht, wo es herkommt, wie es im und in welchem sozialen Zusammenhang, in
welcher wie ausgeformten Gesellschaft es entsteht.
„Das ist natürlich statthaft, wenn man von den Grenzen weiß. Doch sind
diese den vielen umherschwirrenden Gesellianern keineswegs immer bewusst. Sie
wollen ein nicht-kapitalistisches Geld, ohne den Kapitalismus theoretisch und
praktisch in Frage zu stellen, so als ob
das Geld ohne Gemeinwesen existieren würde und ein Gemeinwesen ohne formspezifisches
Geld auskommen könne. Der Überschuss wird nicht als Mehrwert und damit das
Kapital als soziale Beziehung in Frage gestellt, sondern nur der Zins und
dieser vor allem wegen der Zinseszinsdynamik, durch die der Überschuss
irgendwann einmal ausschließlich auf die Konten der Geldvermögensbesitzer
umgelenkt wird und für produktive Kapitalisten, aber auch für die
Lohnabhängigen weniger und manchmal nichts bleibt (so bei Suhr 1983a; 1983b).
Entscheidend ist dabei, dass der Zusammenhang zwischen der sozialen Formation
der Überschussproduktion und den historischen Regulationsweisen und Regimen
einerseits und der Dynamik des Zinses andererseits aufgelöst wird.“ (Altvater
04, S. 24)
Onken muss
dies nicht akzeptieren. Dann allerdings darf er auch nicht schweigen, sondern
eine eigene begründete Meinung dagegen stellen. Es ist ja bezeichnend, wenn in
folgender Aussage so gar nichts auffällt:
„Geld ist eine Forderung, die
erfüllt werden muss, und zwar durch reale Produktion von Waren, die einen
Mehrwert enthalten, der bei der Verwandlung in Geld als Profit realisiert wird.
Erst wenn dies geschehen ist, kann die Forderung monetär erfüllt werden.“
(Altvater 04, S. 32)
Onken könnte hier Altvater im seinem marxistischen Revier stellen, wenn
er ihn frägt, wie diese Realisierung des Mehrwertes in Geld denn möglich ist. Die Frage, die Karl Marx stellt,
„ ... ist nicht: Wo kommt der Mehrwert her? Sondern:
Wo kommt das Geld her, um den Mehrwert zu versilbern? [...] Das in Form von
Geldkapital vorgeschoßne zirkulierende Kapital von 500 Pfd. St. [...] sei das
zirkulierende Gesamtkapital der Gesellschaft. Der Mehrwert sei 100 Pfd St. Wie
kann nun die die ganze Kapitalistenklasse beständig 600 Pfd. St. aus der Zirkulation herausziehn,
wenn sie beständig nur 500 Pfd. St. hineinwirft?“ (Kapital II, S. 330ff)
Allerdings hat Onken selbst auch
keine Antwort auf die inhaltsgleiche Frage, die Gesell nur etwas anders
formuliert:
”Die Ware wird mit Geld gekauft und,
mit Urzins belastet, an den Konsumenten gegen Geld wieder verkauft. Hiernach müßte der Konsument regelmäßig mehr
Geld ausgeben als er als Produzent einnimmt.” (S.
Gesell, NWO, S. 338)
Doch so wie Gesell darauf keine
stimmige Antwort hat, fehlt sie auch bei Marx: Beide können nur das erklären,
was Marx die „Einfache Reproduktion“ nennt, nicht aber die Akkumulation von
Geldvermögen.
Gesell:„Dieses Mehr, aus dem
Urzins bestehend, verschafft sich der
Produzent dadurch, daß er mehr Waren produziert und verkauft, als er kauft. Das Mehr, das so die Produzenten erzeugen,
wird von den Geldbesitzern für persönlichen Bedarf gekauft, und zwar gerade mit
dem Geld, das sie als Zins erheben.“(NWO, S.338)
Marx: „In der Tat, so paradox es auf den ersten Blick scheint, die
Kapitalistenklasse selbst wirft das Geld in Zirkulation, das zur Realisierung
des in den Waren steckenden Mehrwertes dient. Aber nota bene: sie wirft es
hinein nicht als vorgeschoßnes Geld, also nicht als Kapital. Sie verausgabt es
als Kaufmittel für ihre individuellen Konsumtion.“ (Kapital II, S. 335ff)
Letztendlich können sich also Altvater und Gesellianer gegenseitig vorwerfen, den
Geldfetisch nicht enttarnt zu haben. Altvater aber schreit dann noch laut:
„Haltet den Dieb“ – und zeigt dabei auf die Gesellianer.
5.
Was aber sagen die anderen heutigen Vertreter
Gesellschen Gedankengutes, für die ja Onken nicht spricht? Was sagt Margrit Kennedy dazu, wenn sie von
Altvater als „Geldheilerin“ apostrophiert wird?
Dabei scheint alles doch so einfach zu sein. Jedenfalls meinen dies
Geldheiler, die die Fähigkeit des Geldes, per Zinseszins geometrisch wachsende
Zuwächse an sich ziehen zu können, mit ihrem gesunden Menschenverstand als
Verrücktheit und als Ungerechtigkeit kritisieren und Heilung versprechen. Zins
und Zinseszins sollen abgeschafft, die Ungerechtigkeit des Geldes beseitigt
werden. Das ist modern eingekleidet die Fortsetzung der aristotelischen
Tradition seit mehr als 2300 Jahren. Eine „natürliche Wirtschaftsordnung durch
Freiland und Freigeld“ nennt Silvio Gesell sein Hauptwerk. „Geld ohne Zinsen
und Inflation“ verspricht eine Geldheilerin,
Margrit Kennedy. „Geld ohne Mehrwert“ schlägt Dieter Suhr vor. Bernard A.
Lietaer bezeichnet das vom wuchernden Zinseszins geheilte Geld als „Geld der
Zukunft“. (Altvater 04, S.12)
Soweit
bekannt, widerspricht sie dem nicht.
Als Heilerin hervorgehoben zu
werden, ist ja bei vielen Menschen keine negatives Attribut. Im Gegenteil. Genießen
Menschen einmal das Ansehen von Gurus,
wird ja vieles wesentlich einfacher. Sie
müssem ihre Aussagen selbst nicht mehr auf rationale Stimmigkeit überprüfen.
Und sie brauchen sich auch vor einer Überprüfung von anderen nicht mehr
fürchten. Ihre Aussage wird als wahr „angenommen“ und dann von vielen so lange wiederholt, bis
sie zur Mantra wird.
Eine dieser Mantras ist die Geschichte vom Anteil
der Zinsen in den Preisen. So verkündet
Kennedy einmal mehr bei einer Veranstaltung:
„Das zweite
Missverständnis ist, dass wir Zinsen nur dann zahlen, wenn wir Geld leihen. Dem
ist freilich nicht so, denn in jedem Preis, den wir entrichten, ist ein
Zinsanteil enthalten. Nämlich derjenige Zinsanteil, den die Produzenten der
gekauften Güter und Dienstleistungen der Bank zahlen müssen, um Maschinen und
Geräte anzuschaffen. Bei den
+ Müllgebühren zum Beispiel liegt dieser Zinsanteil bei etwas 12 Prozent, beim
+ Trinkwasserpreis bei 38 Prozent und bei der
+ Miete im sozialen Wohnungsbau erreicht der Zinsanteil sogar 77 Prozent.
Im Durchschnitt zahlen
wir vierzig Prozent Zinsen oder Kapitalkosten in allen Preisen und Dienstleistungen, die wir zum täglichen Leben
benötigen (CREUTZ,
1993/2004).
Würde
der Zins durch eine andere Umlaufsicherung ersetzt, könnten die meisten von uns
ihre Einkünfte fast verdoppeln oder entsprechend weniger arbeiten, um denselben
Lebensstandard zu haben.“
Und an anderer Stelle dann weiter:
„Der Zins ist demnach ein
falscher Preismechanismus im „Kräftespiel“ der Marktwirtschaft: Die
„Mit-Spieler“ (Wirtschaftsakteure) werden durch Zinskosten bestraft; die
„Spielverderber“, die ihr Geld in der
Kasse halten können, werden durch Zinseinnahmen belohnt.
Der Zins ermöglicht auf
diese Weise im Gegensatz zum viel zitierten Anspruch auf Leistung in einer
„Leistungsgesellschaft“ ein leistungsloses Einkommen.“ [5]
Hier bedarf es nun keiner tiefschürfenden theoretischen Überlegungen, sondern
nur funktionaler Lesefähigkeit, um den Widerspruch aufzudecken: Wenn ohne
Zinsabzug alle ihre Einkünfte „fast
verdoppeln“ könnten, dann heißt das ja umgekehrt, dass heute nur mit dem halben Gesamteinkommen Nachfrage
nach all dem gehalten werden kann, das mit Gesamtkosten gleich dem
Gesamteinkommen vor Abzug der Zinseinkünfte hergestellt wird. Da diese
Zinseinkünfte nun aber nicht nachfragewirksam werden, weil „in Kasse gehalten“ , um eben den Zins zu
erpressen, können nur die Hälfte aller
Güter verkauft werden [6]
Oder aber alle Güter; diese jedoch mit Preisen, die in etwa nur den halben
Kosten entsprechen.
Wie auch immer: Wenn auf diese Art die gesamten Kosten plus einen
Mehrertrag für die zahlenden Zinsen bei den Unternehmen hereinkommen sollen,
dann müsste auch gelten:
100
– 50 = 110
Das aber ist nicht einmal mit dem Hexeneinmaleins[7]
nachvollziehbar:
„Du
musst versteh’n, aus Eins mach Zehn,
die Zwei lass geh’n,
die Drei mach gleich.
So
bist du reich..
......
Genau diese banalen Irrtümer herauszustellen, das tut Altvater nicht. Ist es ihm zu einfach gestrickt? Wachelt[8]
er lieber mit einem Fetisch, statt allein mit Grundschulwissen eine Mantra zu entzaubern? Natürlich ist dieser Fetisch geheimnisvoller,
läßt sich so viel unterschwellig damit transportieren (das dann notfalls
anderen umgehängt wird), was beim eigenen Publikum so viel besser ankommt als
die um so viel komplexere Einsicht in die Wirklichkeit.
Auf beiden Seiten zählt
offensichtlich die Bewunderung der Anhänger mehr als das Bemühen, Einsichten zu
gewinnen, die uns alle als Opfern als auch als Täter projezieren, die jedoch unabdingbare Grundlage
für Veränderungen sind.
Fetisch contra Mantra. Ad infinitum!
Dezember 2004
[1] In Altvater 04, siehe Fn. 3
[2] Elmar Altvater, Die Gläubiger
entmachten, in FREITAG 44, 17.10.2003
[3] Elmar Altvater, Eine andere Welt
mit welchem Geld?, Reader von attac, zu finden ebenso wie die Replik darauf von
Werner Onken unter
http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/onken/attac2004/dresden-onken
[4] Siehe Fn 2
[5] Protokoll des Open Space
Symposiums in St. Pölten 28. bis 31. Mai
2004
[6] Kennedy sagt ja selbst mit dem Satzteil „entsprechend weniger arbeiten, um denselben
Lebensstandard zu haben.“, dass unter den gegebenen Umständen nur etwa die
Hälfte des Erzeugten konsumiert werden kann. Was aber geschieht mit dem, das
liegen bleibt? Irgendwie erahnt man die
Verstopfung, den Darmverschluß der ganzen Wirtschaft, die damit einhergehen
müsste. Daraus folgt dann jene Aussage,
die da sagt: Wenn die Zinsen verkonsumiert würden, dann würde sich diese
Verstopfung wieder lösen.
[7] J. W. Goethe, Faust
[8] Österreichisch: Mit etwas winken, das man
schnell bei der Hand hat, ein Taschentuch, irgend ein Fetzen