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Subject: Käuflichkeit und Gegenseitigkeit
 

Lieber Konrad,

vielleicht war der Vorwurf nicht direkt auf mich gemünzt, aber ich habe
mich dennoch mit angesprochen gefühlt, wenn bei dir von 'Fachidioten'
die Rede war, und das hat micht dann doch ziemlich getroffen.
 

Zugegeben: Ich habe bisher auf dieser Liste tatsächlich immer sehr hart
am Thema argumentiert und mich von allem ferngehalten, was mir als
Ablenkung von den zentralen ökonomischen Fragen erschien. Das war
Absicht.
 

Vielleicht ist es an der Zeit, die Diskussion auch von meiner Seite aus
wieder wieder mehr für "außerökonomische" Aspekte zu öffnen. Auch der
Artikel von Ernst ("Mehr Gegenseitigkeit...") hat mich dazu bewogen.
Irgendwann muss man von der Analyse auch mal wieder zur Synthese
schreiten.
 

Ich nehme deine Ausführungen als Anregung dazu.
 

> Umlaufbedingungen sind per se zunächst ökonomische Begriffe.
> Ob eine Sicherung des Umlaufs aber deswegen, weil wir uns als
> forschende Menschen Übersichtsschubladen basteln, uns den
> "Gefallen" tut und sich auch rein aus der ökonomischen Sphäre beant-
> worten läßt, das ist zumindest hier die (und meine) interdisziplinäre
> Frage. Für den begriffskastrierten Fachökonomen kommt jetzt etwas
> was es garnicht geben kann, nämlich ausser- oder transökonomische
> Regulative [hier wirtschaftsdemokratische Vereinbarungen und unter-
> schiedliche Nachfragekapitalhalteformen (?)].
 

Außerökonomische Regulative sollten *eigentlich* selbst für einen
ökonomischen Fachidioten kein Fremdwort sein, jedenfalls wenn man die
Betonung auf 'Fach' und nicht auf 'Idiot' legt. Zumindest Rechtsetzung
und Rechtsprechung (Eigentum, Verträge, Haftung, ...) sind wesentliche
Bedingungen, ohne die unsere Wirtschaft überhaupt nicht denkbar ist. Die
eigentliche Frage ist aber in diesem Zusammenhang, auf welchen
gesellschaftlichen Grundlagen ein solches Rechtssystem steht, wie es
sich überhaupt ausbilden und am Leben erhalten werden kann.
 

Dass in unserer Gesellschaft die Gewinnmaximierung als Motor der
Wohlstandsvermehrung nur funktioniert, solange sie eingebettet ist in
ein Gerüst gegenseitigen und gerade *nicht* gewinnorientierten
gesellschaftlichen Handelns, das ist leider immer noch nicht
Allgemeingut, jedenfalls nicht unter Wirtschaftswissenschaftlern. In
diesem Punkt sind die Praktiker der Ökonomie - wen wunderts - deutlich
näher an der Realität, was sich zeigt, wenn man einmal mit Leuten redet,
die etwa für eine deutsche Firma in China Straßenbahnen verkaufen, auch
wenn diese Leute selber oft nicht verstehen, wie deutlich ihre täglichen
Erfahrungen gegen die gängige Theorie sprechen.
 

Den wenigsten Ökonomen ist klar, wie sehr die von ihnen propagierte
wirtschaftliche Logik automatisch eine Tendenz zur generellen
Käuflichkeit beinhaltet und bestärkt. Wenn hiervon dann Rechtsprechung
und staatliche Verwaltung betroffen sind, spricht man von Korruption und
moralischer Zersetzung, und tut so, als handelte es sich dabei um
"außerökonomische" Phänomene. Dabei ist es mehr als auffällig, dass sich
hier doch lediglich die *innerökonomische* Logik des "Wer bietet mehr?"
in gewisse soziale Bereiche hinein ausbreitet. Nur dass die Käuflichkeit
*dieser* speziellen Leistungen für unser traditionelles Verständnis eben
ein gesellschaftliches Tabu ist!
 

Man darf nie vergessen, dass sich in Europa und Nordamerika ein
historisch einmaliger Prozess abgespielt hat: Die bürgerliche Klasse
musste auf der Suche nach einer Legitimation ihres Herrschaftsanspruches
im Kampf gegen das traditionelle feudale Herrschafts- und
Wirtschaftssystem "von Gottes Gnaden", eine Reihe von Tugenden und
Moralkodizes entwickeln, die nicht zuletzt die generelle Käuflichkeit
sozialer Leistungen mit einem strikten Tabu belegte. Obendrein konnte
die bürgerliche Revolution schon früh auf einen Fundus an
Moralvorstellungen zurückgreifen, der sich schon in den antiken
Stadtstaaten mit ihrem Rechtssystem und ihrer Geld- und Eigentumsordnung
gebildet hatte, und über den reichliches schriftliches Material
vorhanden war. Es ist nicht verwunderlich, dass dieses gerade während
der Renaisance wieder ausgegraben wurde. [Noch weniger muss verwundern,
dass Adam Smith neben seinem Hauptwerk über Ökonomie auch lange
Abhandlungen über Moral und Ethik geschrieben hat.]
 

Vergleich man diese historische Situation mit der der afrikanischen
Länder, so trifft man auf eine Gesellschaftsformation, die eine solche
Auseinandersetzung nie geführt hat. Von der Dominanz des Kapitalismus im
internationalen Handel getrieben und von westlichen
Wirtschaftsfachleuten falsch informiert, haben diese eine Geldwirtschaft
übernommen, deren Funktionsgrundlagen diesen Fachleuten nicht zuletzt
aufgrund der oben beschriebenen notwendigen Tabuisierung so
selbverständlich sind, dass sie keinerlei Erwähnung finden. Da die
traditionellen afrikanischen Wirtschaften aber auf einem
gesellschaftliche Verteilungs- und Herrschaftssystem beruhen, welches
man am besten mit dem Begriff Paternalismus umschreibt, kann die
selbstzerstörerische Tendenz zur Käuflichkeit sich völlig frei entfalten
und am Ende solche verheerenden Ausmaße annehmen, wie wir sie von vielen
afrikanischen Staaten kennen.
 

Es ist charakteristisch für die neoklassische Wirtschaftslehre und deren
politischen Arm namens Neoliberalismus, dass sie diesen Phänomenen
hilflos gegenüber stehen - und unter Berücksichtigung der
gesellschaftlichen Tabuisierung ist dies ganz verständlich. Dieses Tabu
ermöglicht es nämlich andererseits, in dem (zunächst) engen
wirtschaftlichen Bereich von Handel und industrieller Produktion, der
dabei vorwiegend betrachtet wird, und der dann als Modell für
wirtschaftliches Handeln überhaupt genommen wird, von den sozialen
Bedingungen dieses wirtschaftlichen Handelns vollständig abzusehen.
 

Indem sie das Gewinnstreben beim Tausch von Waren und Leistungen - frei
von jeglicher Moral oder sozialer Verpflichtung - zum grundlegenden
Muster menschlichen ökonomischen Handelns erklärt, kann sie prinzipiell
anders geartete Formen des sozialen Austausches nicht als ökonomisch,
und das heißt nach der eigenen Logik letztlich auch nicht als
gesellschaftlich oder persönlich sinnvoll ansehen. Solche nicht
gewinnorientierten Austauschformen werden denn auch entweder ignoriert,
oder aber mit einem theoretischen Gewaltakt in das
Gewinnmaximierungs-Schema gepresst, wobei dann der Bezug zur Realität
zwar vollkommen flöten geht, was aber nicht weiter auffällt, weil bzw.
solange die Betroffenen sich für Wirtschaftstheorie herzlich wenig
interessieren.
 

Die Kehrseiter dieser Medaille ist das Scheitern des neoklassische
Paradigmas an der ausufernden Käuflichkeit, die ja - nach dieser Theorie
- die effizienteste Form des Austausches und der Verteilung ist. Daran
schließen sich dann auch wirtschaftspolitische Maßnahmen (IWF & Co.),
die den wirklichen Problemen nicht gerecht werden können, solange diese
analytisch nicht begriffen werden.
 

Damit haben die Neoklassik und der Neoliberalismus weder auf Korruption
eine wirklich überzeugende Antwort, noch können sie die Phänomene zu
verstehen hoffen, die den sozialen Sektor langsam aber sicher erodieren,
indem das Prinzip der Käuflichkeit auch hier das Prinzip der
gegenseitigen Zuwendung vergeblich zu ersetzen sucht. Vergeblich
deswegen, weil hier ja gerade diejenigen Faktoren die Qualität
ausmachen, die im industriellen Bereich allenfalls als notwendiges Übel
akzeptiert werden, dass hier nämlich lebendige(!) Menschen miteinander
kommunizieren, und eben keine Maschinen. Was hier als 'slack', als
Ineffizienz und Verschwendung erscheint, ist dort eben gerade der
Inhalt, die eigentliche Wertschöpfung.
 

Um auf deine Thesen zurückzukommen:
 

Wenn du von wirtschaftsdemokratischen Vereinbarungen sprichst, von
außerökonomischen Regulativen, dann stößt du damit in den von der
klassischen Theorie tabuisierten Bereich der sozialen Gegenseitigkeit
vs. genereller Käuflichkeit vor. Man muss begreifen, wie stark dieses
Tabu ist, um die Widerstände zu verstehen, die sich solchen
Vorstellungen entgegen stellen. Je weiter unsere Gesellschaft die
Bewertung von Leistungen in Geld vorantreibt, je mehr die sozialen
Arbeiten unter wirtschaftlichen Effizienzdruck geraten und auf diese
Weise die Ausbreitung der Korruption, d.h. der generellen Käuflichkeit
sozialer Leistungen vorantreibt, desto mehr muss diese Tatsache von den
Epigonen der Rechtfertigung dieses Systems verdrängt werden - selbst
wenn sich diese als Kritiker desselben tarnen.
 

Wenn du also an anderer Stelle richtig schreibst:
 

> Wissenschaftstheoretisch interdisziplinär ausgedrückt :
> Ein "naturalistisches" Verständnis kann Geld nur als nichttranszendentes
> Tauschgut wie Fahrrad und Brotleib behandeln und Zinsen als Ursache
> nicht als Symptom einer Funktionsstörung begreifen.
> Naturalisten tun sich schwer damit eine Schuldgeldordnung anzuer-
> kennen. Sie schreien dann "Theorie, Theorie" wie andere vielleicht
> "Feuer, Feuer" schreien.
 

dann hast du jetzt zumindest einen weiteren Erklärungsansatz, warum dem
so ist.
 

> So bildet das Gesundheitskostenwesen der meisten europäischen Staaten
> eine eigene Wertformation, ähnlich einer Fremdwährung aber in einem
> Land und nominal zwar von der BIP Statistik erfaßt, aber doch anders
> "reguliert" als Lohngeld oder Unternehmerkredite (inverse Devisen).
 

Yup. Aber das kann - wie gesagt - die klassische Theorie nicht
wahrhaben. In diesem Sinne muss man leider auch Gesell zu den Klassikern
rechnen.
 

> Dies hat bei dem konkreten Beispiel mit jeweils unterschiedlichen Halte-
> Nutzungs- und Verfügungsrechten des Wertanspruchs zu tun. Ein neues
> Auto kaufe ich bei (inflationär-deflationär) induzierten Lohn- oder Ein-
> kommenseinbußen später. Der Gang zum Zahnarzt wird "nicht" in
> gleicher Weise verschoben in einer Depression. Erst erheblich verspätet
> gibt es nachträgliche Branchenanpassungen, Gold- oder Stiftzähne werden
> dann etwas seltener eingesetzt. Grundanspruchbasierte Leistungen verhalten
> sich sozusagen tendenziell antizyklischer, oder besser gesagt unabhängiger,
> wie die mit unmittelbarer Angebots-Nachfrage wechselwirkenden
> Wertformationen. Das genau ist jedoch unser empirisches Material zur
> begrifflichen Bestimmung der je unterschiedlich agierenden Wirtschafts-
> geschwindigkeiten (Umlaufdifferenzen bzw. deren je rezipoke spezifische
> Umlaufwiderstände oder gar spezifischen Umlaufelastizitäten !).
 

Ein wohlbekanntes Phänomen, zumindest bei Politikern, die sehr wohl
wissen, welche "Faktoren" mobil und volatil sind und welche eher immobil
und stabil sind. (Letztere lassen sich u.a. viel einfacher besteuern.)
 

Ernst Dorfner hat ja sinngemäß auch schon gesagt, dass die
Geldwirtschaft zu dem inneren Widerspruch neigt, dass die Unternehmen
alles tun, um die Ausgaben der Lohnarbeiter zu steigern, und
gleichzeitig deren Arbeitskosten zu verringern.
 

Einer Ebene höher findet sich ein ähnlich eklatanter Widerspruch
zwischen dem Staat, der den Interessen der Unternehmen entgegen wirkt,
indem er die Arbeitskosten auf Kosten der Arbeitseinkommen durch
Besteuerung erhöht.
 

> Ben: "Spätestens in der Deflation, besser aber schon in der Rezession, ist
> es
> tatsächlich nützlich und notwendig den Geldumlauf, d.h. die Ausgaben von
> Unternehmen und Haushalten zu steigern. Und da kann eine
> Umlaufsicherung, was ja nichts anderes bedeutet, als ein negativer
> nomineller Zins auf Geld, auch in einer Kreditwirtschaft eine Menge
> helfen....."
>
> Konrad: Umlaufsicherung könnte in der Form eines negativen Zinses er-
> scheinen oder gedacht werden, aber nicht hinreichend. Es ist nämlich die
> entscheidende Frage der transzendenten, also kritischen Geldreformer wie
> Dorfner, Margreiter et.al. erst noch zu stellen, welche Konsequenz denn
> aus der Tatsache einer "primärkreditiven Geldschöpfung" zu ziehen ist.
 

Das ist ok. Ich versuche ja lediglich im Umkehrverfahren aufzuzeigen,
welche konkreten Auswirkungen eine solche Umlaufsicherung im bestehenden
System haben könnte. Auch damit gewinnen wir Erkenntnisse über das
Kreditsystem, nach dem Motto: War wäre wenn.
 

> Der große offene Widerspruch zwischen Gleichheit und Freiheit, also
> Egalitarismus und Liberalismus ist lediglich ein "dualistisches" Konstrukt
> und führt von der Frage nach der Beschaffenheit realer Ungerechtigkeits-
> vereinbarung ab. ...
 

Ich denke, dass sich das Prinzip der Gegenseitigkeit nutzen lässt, um
diese beiden Pole miteinander zu vereinbaren. Dazu ist es m.E. sehr
angeraten, sich noch mehr mit Modellen anderer Kulturen zu beschäftigen.
Aber es ist eben auch die Dialektik von Käuflichkeit und Gegenseitigkeit
zu durchleuchten.
 

> Ben: "... dass bei
> Deflation der Realzins eben trotz NB-Zinsen von Null (in Japan 0.25%)
> immer noch zu hoch sein kann, als dass - bei ohnehin schlechten
> Erwartungen - noch Nettoinvestitionen getätigt würden.
>
> Konrad: Japan ist doch kein geschlossener Handelsstaat. Mit einem
> löchrigen Eimer kann man mit etwas Geschick auch noch Wasser holen
> das ist richtig, mit einem dichten klappts aber deutlich besser.
 

Irrtum. Das Geld fließt nicht einfach ins Ausland ab, sonst würden ja
die Wechselkurse die Sache richten. Lies mal die Artikel von Krugman. Da
wird auf die Außenhandelsgeschichte ausführlich eingegangen. Ich zitiere
hier nochmal: "I cannot see any way to deny the proposition that the
Japanese economy, as currently constituted, would need a negative real
interest rate to achieve full employment." (Japan: still trapped,
November 1998)
 

> Konrad: "Die Sachbewertung des Dollars müßte wegen des großen negativen
> Handelsbilanzsaldos zu einer deflationären US-Wirtschaft führen, was aber
> "manipulativ" an andere Wirtschaftsregionen und Nationen weitergereicht
> wird.
 

Ich habe ja gerade - gestützt auf die neuesten Berichte im Economist -
argumentiert, dass die deflationäre Entwicklung eine zeitlang durch
Pseudogewinne gut kaschiert werden kann.
 

> Bei dem Grad an erreichten Überkreuzverflechtungen und dem Anteil
> von japanischem Auslandsvermögen führen solche niedrigen NB-Zinsen
> zu Umgehungsdriften, teils legal, teils manipulativ. Nach den riesigen durch
> die Asien-Japan-Krise erzwungenen Wertkorrekturen im Immobilien- und
> Grundstücksbereich nach unten werden nun Auslandsengagements durch
> billige inländische Kreditaufnahme bevorteilt, was der Binnenkonjuntur
> schadet. Dies alles zeigt fast in einem Riesenwörgelexperiment, dass etwas
> ähnliches nicht das gleiche sein muß. In der Freude über die künstlich er-
> niedrigten Zinsen werden Alt-Gesellianer diese Anreizschwäche genauso
> übersehen, wie die Stalinisten für ziviles Unrecht und Staatsmanipulati-
> onen blind waren. -
 

Frohlocken können dabei höchstens Leute, die Gesell überhaupt nicht
verstanden haben. Gesell hat ja gerade diese Dynamik von Zins und
Wirtschaftskrisen ganz klar erkannt.
 

Deine Bewertung als "Riesenwörgelexperiment" kann ich nicht
nachvollziehen, angesicht der Tatsache dass die REALEN Zinsen deutlich
über Null und viel zu hoch sind!!
 

> Sachbewertung wird externalisiert durch weltweite inverse Wertforma-
> tionen und zwar in unterschiedlichen (!) Richtungen. Diese sind immer
> fremdökonomisch unterfütterte also semipermiable Wertformen etwa
> in unterschiedlichen Abschreibungsgesetzen, Bilanzordnungen, den vor
> erwähnten differierenden Anlagestrategien oder sogar aus der macht-
> klassischen Militärsphäre. Saudi Arabien und ein Teil der Opec-Staaten
> stellen einen besonderen Wertformkomplex dar, gehalten in Öl, realer
> US-Militärpräsenz & Militäreinsatz (eines von vielen Beispielen).
> Wäre es nicht so, dann würde sich morgen eine islamische Allianz bilden.
 

Und was soll das beweisen?
 

> Ben :"Die eigentliche Idee bei der Umlaufsicherung ist doch ... genau die:
> Dass nämlich dem Zins (real, wohlgemerkt) keine prinzipbedingte untere
> Grenze mehr gesetzt sein soll. Das jedenfalls war
> die Idee Gesell's und ich denke auch vieler der heutigen Geldreformer.
> Und nach dem was ich in meinem anderen Beitrag ("Geldvermehrung,
> Neuverschuldung und Sparquote") geschrieben habe, würde ein Absinken des
> Zinses auch weniger Neuverschuldung nötig machen, je nach dem wie stark
> die Auswirkung auf das Sparverhalten ist.
> Die Frage ist nun u.a. ob die Zinsen tatsächlich eine natürliche Tendenz
> zum sinken haben, je weiter sich die Wirtschaft entwickelt."
>
> Konrad: Der Fall der mittleren Profitrate (Marx) wurde ja in den
> 60-iger Jahren des nun vergangenen Jahrhundert formal erweitert, andere
> sagen widerlegt. Zwischen der mittleren erzielten Profitrate und dem Zins
> müßten gemeinsame Ursachen bestehen.
 

Mir ist auch schon aufgefallen, dass der marxsche "Fall der mittleren
Profitrate" sich im neoklassischen Wachstumsmodell von Solow
wiederfindet und damit wiederum (unabsichtlich) Gesell genauso wie Marx
unterstützt. Allerdings gibt es im neoklassischen Modell ja keine
Untergrenze für den Zins.
 

> Eine Frage an die Volkswirte.
> Sinkende Zinsen nehmen den Druck aus dem konkurrierenden Wettbewerb.
> Das schafft einerseits bessere Bedingungen für renditeschwächere Branchen
> wie etwa die Landwirtschaft oder einfachere Technologien. Das stabilisiert
> allerdings wohl nur kompensativ. Im Resultat sind alle modernen Gesell-
> schaften vollständig auf Schuldenwirtschaft ausgerichtet, sodaß schließlich
> sinkendes Zwangswachstum, durch was auch immer bewirkt, unterhalb der
> attraktiven Ausleihgebühr von ca. 2,5 % depressiv stimmuliert und Anlage-
> kapital, das scheue Reh, vertreibt. Die Abwanderungsfähigkeit des modernen
> Buchgeldes ist ja annähernd grenzenlos. Gesells geforderte Umlaufsicherung
> muß ganzheitlich auch mit diesem Phänomen zusammen diskutiert werden.
 

Da bin ich auch dafür.
 

> Es gibt ja nur noch in den Modellvorstellungen der VWL'er diese geschlos-
> senen Wirtschaftsveranstaltungen namens BIP. Wer kennt nicht das Spiel
> Reise nach Jerusalem ? Da gibt es auch eine Umlaufgeschwindigkeit, bewirkt
> durch Knappheit der Stühle. Was aber, wenn plötzlich an anderen Stellen neue
> umlauffähige Stühle auftauchen würden, wieder andere verschwinden u.s.w.
> Etwa dieser Zustand ergibt sich doch für die nationalen Stromgrößen des
> Geldumlaufs, welche Mengendefinitionen auch immer akzeptiert werden.
 

Hey, der Vergleich ist lustig.
 

Die klassische Lehre sagt ja im wesentlichen: einige müssen stehen
bleiben,
 

> Ben: "Das Beispiel Japan und die drohende Deflationsgefahr weltweit, sowie
> die
> große Depression Ende der 20er Jahre deuten m.E. darauf hin, dass sich
> die meisten Volkswirtschaften nach einer mehr oder weniger langen Phase
> relativ ungebremsten Wachstums mit anfangs hohen Kapitalgewinnen
> irgendwann in eine Richtung bewegen, in der die Kapitaleinkommen
> schrumpfen und die Löhne entsprechend mehr steigen.
> Der Höhepunkt dieser Entwicklung scheint dabei allerdings dadurch
> gekennzeichnet zu sein, dass die Unternehmen alle möglichen Tricks
> anwenden, um den Shareholdern Profite vorzugaukeln (oder für die Zukunft
> zu versprechen), die sie in Wahrheit gar nicht gemacht haben (bzw.
> erwarten können), wodurch sie die Aktienkurse hoch halten und damit ihre
> Finanzierung (kurzfristig) "sichern" können.
>
> Konrad : "Etablierte und gereifte Schuldenwirtschaften können nicht anders
> als von neuen Hochprofiten zu träumen, sie sind wie Yunkies ohne Stoff.
> Sie erfinden, rauben, weil sie keine andere Chance sehen können, obwohl
> sie natürlich da ist/wäre.
 

Das ist natürlich auch ein Aspekt. Die Phantasielosigkeit des "immer
mehr, immer schneller", die sich wechelwirkend mit der
Schuldenwirtschaft gegenseitig verstärkt.
 

> Wie setzten wir unsere Schuldenwirtschaften auf Entzug ? Ein Mittel ist
> kurioser Weise die "Förderung tilgungsloser Projekte", also "schöpferische
> Buchgeldvernichtung" auf das gerade benötigte Maß der modernen, durch
> Qualifizierung und high-tech entschleunigten, Wirtschaftsdemokratien in
> sinnvolle Umwelt- und Sozialprojekte. Geldstilllegungen mit qualifizier-
> ten, demokratisch entschiedenen Inhalten und zwar nach Maßgabe und Be-
> rechnungen von Entschleunigungsregional- und Landesbanken !
 

Verstehe ich das richtig? Du meinst, statt den regelmäßigen Orgien an
Kapitalvernichtung durch "schlecht gewordene" (faule) Kredite, lieber
rechtzeitig und von vorne herein das Geld an soziale und ökologische
Einrichtungen verschenken (ist ja das selber wie tiglungsfreier Kredit)?
Das wäre in der Tat eine soziale Revolution, bzw. würde eine solche
voraussetzen. Vor allem in den Köpfen.
 

> Wichtig ist, dass am Ende eine optimalere Eigentümer-/Kapitalhalter Ver-
> teilung herauskommt. Und wer bis hierhin gefolgt ist, dem sage ich noch,
> dass die wichtigste Konsequenz aus der Einsicht in die Struktur der
> Schuldenwirtschaft möglicherweise die ist, dass das Bürgerstammkapital
> eben nicht mit einer Einlage sondern mit einer Stilllegungsverbindlichkeit
> eröffnet werden könnte und eine Einlage erst im Zustand erreichter stabi-
> lisierter entschleunigter Guthabenswirtschaft erfolgen sollte.
 

Kannst du mir das nochmal mit einfacheren Worten erklären?
 

Ehrlich, ich hab's nicht verstanden. Was sind "Bürgerstammkapital" und
"Stilllegungsverbindlichkeit"?
 

> Die Frage
> danach, wer denn und aus was denn der Stamm der Sozialdividendendirekt-
> beteiligung
 

Was ist das?
 

> begonnen werden sollte wäre somit auf nichtnaive Weise zu
> beantworten: Innerhalb einer noch überwiegenden Beschleunigungsschuld-
> wirtschaft muß der kommunaldemokratisch verwaltete Bürgergrundfond
> ein verbrieftes Recht auf anteilige fortlaufende statistische Höher-
> verschuldung sein.
 

Und wer bzw. was haftet in diesem Fall?
 

> Innerhalb einer durch gezielte Entschleunigungen um-
> gestellten Einlagen- oder besser Teilhaberwirtschaft könnten alle Ein-
> wohner durch die oben genannten tilgungsfreien Projekte Teilhaberrechte
> (Halterechte individuell und Nutzungsrechte gemeinschaftlich) an diesen
> kreativsozialen Entschleunigungsvorhaben gewinnen. Jedenfalls wäre
> eine solche Form von Geldvernichtung wohl geeigneter als die kriege-
> rische und die Crashvariante. Diese Grundidee sollte als Wettbewerb an
> junge VWL-Studis zur genaueren Ausgestaltung ausgeschrieben werden.
 

Das klingt sehr interessant, aber ich kann wie gesagt nicht behaupten,
dass ich es verstehen würde.
 

Ich möchte dich bitten, uns dieses Modell mit etwas weniger
Fachbegriffen zu erklären, oder besser noch all diese Begriffe mal zu
definieren, damit man das alles verstehen kann.
 

Oder gibt ein Buch, wo man das alles erklärt bekommt?
 

> Ben : "So ein Zyklus kann sich prinzipiell auch mehrmals hintereinander
> abspielen, ohne dass die Katastrophe richtig ausbricht. Kommt nun aber
> jedes Mal ein höherer Schuldenberg dazu, dann wird die Sache auch
> jedesmal brenzliger. Ich frage mich inzwischen nur noch ob es das
> nächste Mal der letzte Krach wird, oder ob es noch Mal "gut" geht (soll
> heißen: "nur" eine Wirtschaftskrise, kein Weltkrieg o.ä.)."
>
> Konrad: Rein statistisch hatten wir seit dem Ende von WK II ziemlich
> konstant weltweit Krieg. Und es gibt wenige Kriege die nicht durch
> gezielte Wirtschaftsverwerfungen zumindest begünstigt, wenn nicht
> verursacht worden sind.
>
> Ben : "Was mir bisher noch niemand vernünftig erklären konnte (außer
> Keynes natürlich):
> Warum sinken die Zinsen und Renditen nicht einfach anständig und
> gleichmäßig ab, warum müssen Banken wie Industrieunternehmen diese
> peinliche Show mit den Pseudoprofiten abziehen, die unweigerlich in der
> Katastrophe endet???
>
> Konrad : In einer Schuldenwirtschaftsordnung sind Produktivkräfte un-
> lösbar mit Destruktivkraftentfaltung verbandelt, allein schon vom
> Know-How der betreffenden Branchen her gesehen. Etwa 50 % des
> BSP werden durch die sog. Verkehrsbranche gestellt (Auto, Flugzeug,
> Raumfahrt, Militär samt High-Tech-Infrastrukturanhängsel).
 

Das ist mir wohl bekannt. Aber die Bewertung dieser Dinge
("Destruktivkraftentfaltung") kannst du nicht allein für dich
beanspruchen!
 

Natürlich entstehen hier Kräfte, die wenn nicht oder unzureichend
kontrolliert, in Destruktion ausarten können. Aber ich behaupte mal,
dass die Risiken bei den genannten Branchen nur besonders auffällig ist.
Sie ach so harmlose & sanfte Landwirtschaft verursacht wahrscheinlich
mehr Umweltschäden, als der Luftverkehr.
 

> Wenn
> mehr kleine Mietautos, Fahrräder und Busverkehre sowie Bahnaus-
> bau betrieben würde, dann wäre dieser Komplex schneller zu einem
> Schwinden verdammt, was wir uns alle nur inständig erhoffen können.
 

Im Prinip stimme ich dir ja zu und ich teile auch deine Bewertung
weitgehend. Aber erzähl das bitte den Leuten, die in diesen Industrien
arbeiten. Da wirst du keine Freunde gewinnen, die sind nämlich auf jeden
Fall die leidtragenden einer ökologischen Umorientierung der Wirtschaft.
Und auch nicht bei denen, die täglich mit ihren Auto zur Arbeit fahren;
die *lieben* es, morgens im Stau zu stehen.
 

Ich plädiere auch für einen Bewusstseinswandel in diesem Bereich, aber
man muss eben auch sehen, dass die meisten all das ganz ok finden. Für
die bist du nur einer von diesen blöden Intellektuellen, die einem den
Spaß versauen wollen.
 

> Am Besten ist's, wenn Kriegswaffenbau erst garnicht stattfindet. Wegen
> des sogenannten weltweit feststellbaren "Vietnamsyndroms" ist dann zu
> erwarten, dass Aggressoren wie die USA massivste Probleme be-
> kommen. Niemand der Söldner setzt, wenn es hart auf hart kommt, sein
> Leben aufs Spiel. Die Bereitschaft sich für ein durchgeknalltes Kapital-
> regime abschlachten zu lassen ist äußerst gering und zwar bei allen so
> Angeheuerten. Anders ist es auf der Seite der technisch Unterlegenen.
> Sie glichen bisher ihre technische Unterlegenheit rgelmässig mit einem
> Todesmut aus, was bleibt auch übrig, wenn die Heimat oder das Leben
> selbst nach dem Ergeben gefährdet ist. Den irakischen Soldaten blieb
> in Erinnerung, dass sich ergebende Kameraden von schweren Pionier-
> panzern lebendig überrollt wurden. Dies als VWL-Beispiel für Destruk-
> tivitätsentfaltung schuldenwirtschaftlicher Ökonomien.
 

Diese Unmengen an tödlichsten waffensystemen würden ohne Nachfrage
seitens der Regierungen nicht entwickelt und auch nicht hergestellt
werden. Man kann auch nicht für *alles* die Schuldenwirtschaft
verantwortlich machen, da kommt man genauso in Schwierigkeiten, wie die
Leute, die alles dem Zins in die Schuhe schieben. Lass uns das
differenzieren und nichts pauschal verteufeln. Auch Kriegswaffen haben
ihre Berechtigung, allerdings nur in Maßen. Und dass die entwickelten
Schuldenwirtschaften wie die USA es sich nicht leisten können, im Krieg
Soldaten zu verlieren, sollten wir ihr eher positiv anrechnen, denke
ich. Die Gegner (Irak & Co), die ihre Leute verheizen, sind nämlich
diejenigen, in denen das Schuldensystem eben aus den eingangs (ganz am
Anfang) genannten Gründen nicht funktioniert, weil die Basis der
Moralökonomie fehlt.

Ben