Ernst Dorfner

„Vollgeld“

und hierzu erforderliche Klarstellungen zum Thema „Geld“

 

Teil 2

Geld – wie es ist

 

 

C. Geld: Ein Spannungsverhältnis

Am Anfang ist der Kredit

 

Wenn ich heute im Supermarkt meine Lebensmittel besorge und an der Kasse dann mit der Bankomat- oder mit der Quick-Karte zahle, so wird mir deutlich bewusst, dass ich dabei kein Ding gegen andere Dinge tausche. Es wird allein von meinem Gehaltskonto bei meiner Bank der bezahlte Betrag abgebucht und dieser dem Konto des Supermarktes bei seiner Bank zugebucht. Dabei liegt auf meinem Konto keine bestimmte Summe Geldes in verschiedenen Banknoten, also in Dingen. Ich habe lediglich eine Forderung in besagter Höhe gegen die Bank, festgehalten auf meinem Konto bei der Bank, der buchhalterisch eine gleich große Verbindlichkeit der Bank mir gegenüber gegenübersteht. Beim Bezahlen reduziert sich meine Forderung gegen die Bank, so auch deren Verbindlichkeit mir gegenüber, nicht aber die Gesamtverbindlichkeit der Bank bzw. des Bankensystems. Es wird nur ein Teil der ursprünglichen Verbindlichkeit mir gegenüber in eine Verbindlichkeit gegen den Supermarkt übertragen.   

Diese Übertragung äußert sich nur in den Kundenkonten der Banken, nicht aber in der konsolidierten Bilanz der monetären Finanzinstitutionen (MFI). Es ändert sich nichts an der Gesamtsumme der Forderungen und Verbindlichkeiten. Nur die Zuordnung zu den Konten ändert sich.

 

In dieser konsolidierten Bilanz der MFIs mit Einschluss der Zentralbank scheint nun sämtliches Geld (Bargeld und Giralgeld) und sämtliches Geldvermögen auf der Passivseite als Verbindlichkeiten der Banken gegenüber Gläubigern auf, denen gegenüber auf der Aktivseite Forderungen der Banken gegen Schuldner hauptsächlich in Form von Krediten stehen. Geld und Kredit stehen also zueinander in einem engen Beziehungsverhältnis.

 

Wir sollten nun bedenken, dass eine Produktion von Waren in unserer Gesellschaft den vertraglich vereinbarten Zugriff auf fremdes Eigentum – und damit das Vorhandensein von Geld nicht erst beim Tausch der Waren am Markt voraussetzt. Geld löst bereits das Schuldverhältnis ab, das ursprünglich zwischen dem Produzenten A als Erwerber eines Vorproduktes und dem Produzenten C als Abgeber desselben entsteht. Dieses Geld erhält A über einen Kredit der Bank B.  Der Kredit der Bank B an den Kreditnehmer, den Produzenten A, ist dabei zuerst nur ein gegenseitiges Paar von Forderungen und Verbindlichkeiten: Eine Verbindlichkeit der Bank, (damit eine Forderung des Kreditnehmers), zu zahlen, gleichzeitig aber auch eine Verbindlichkeit des Kreditnehmers (damit eine Forderung der Bank), rückzuzahlen. Noch heben sich die so gebildeten Spannungsvektoren  gegenseitig auf. Erst wenn die Forderung des Kreditnehmers von diesem auf einen Dritten C, den Lieferanten von Vorprodukten des A,   übertragen wird, entsteht ein Spannungsverhältnis. Die Vektoren heben sich  nicht mehr gegenseitig auf. Während das Kreditverhältnis zwischen Kreditnehmer A und Bank B in Form einer Forderung der Bank bzw. einer Verbindlichkeit des Kreditnehmers weiter aufrecht ist, ist die Verbindlichkeit der Bank an den Dritten C in Form einer Forderung gegen diese übertragen worden. A hat nun keine Verbindlichkeit mehr gegenüber  C, sondern nur gegenüber der Bank B, C keine Forderung gegen A, aber eine gegen die Bank B. Damit ist „Geld“ entstanden.

 

Damit ist Geld nicht mehr ein Ding, das alleine für sich besteht. Damit Geld entsteht, bedarf es mehrerer Rechtspersonen: Eines Schuldners der Bank in Person des Kreditnehmers, eines Gläubigers der Bank – der also an diese glaubt, ihr vertraut – und der Bank, die dieses Vertrauen genießt.  

 

Dieses Vertrauen entsteht dann, wenn  C diese Forderung gegen die Bank zur Tilgung seiner Kredite, die er vor Beginn der Herstellung des Vorproduktes aufgenommen hat, verwenden kann. Dabei hebt sich  die Forderung des C gegen die Bank mit seiner Verbindlichkeit gegenüber der Bank auf.  C hat seine Schulden getilgt, das Geld, das er mit seiner Kreditaufnahme geschaffen hat, ist wieder verschwunden, ist vernichtet worden.

Geld existiert also nur in dem Zeitraum zwischen dem Eingehen des neuen und dem Tilgen des alten Schuldverhältnisses.

 

Übrig bleibt nun A als Schuldner. Und zwar mit einer höheren Schuld als C, weil dieser im Preis des Vorproduktes, den A zu zahlen hat, zusätzlich zu seinen Kosten noch Gewinn und Zinsen für den Kredit zurechnet. Diese Schuld des A, der Kredit, äußert sich in der Bankbilanz nun aber nicht als Geld, sondern als Geldvermögen. Geldvermögen entsteht also nicht durch Sparen, sondern durch Verschulden.

 

Geld ist somit etwas Nicht-Dingliches, das auch verschwinden kann. So wie der elektrische Strom, der zwischen unterschiedlich hohen Spannungspotentialen, zwischen Quelle und einer Senke fließt. Und so wie bei einem Erdschluss das Stromnetz zusammenbricht,  verschwindet Geld dann, wenn es zu einem Kurzschluss zwischen Neu- und Altschuldnern kommt. Geld ist also nur solange vorhanden, wie die Fließgeschwindigkeit zwischen Quelle und Senke, den Neu- und Altschuldnern, eine begrenzte ist.

 

So können wir nun ein erstes Verständnis zusammenfassen:

 

  1. Der Kredit – also Verschuldung – steht am Anfang, weil damit die Produktion in einer Gesellschaft begonnen werden kann, in der das Privateigentum konstitutiven Charakter hat.

 

  1. Geld geht aus dem Kredit der Bank hervor, wobei die Verbindlichkeit gegenüber die Bank (Schuld) beim Zahler (Kreditnehmer, Schuldner) hängen bleibt, während die Forderung gegen die Bank an den Bezahlten („Kreditgeber“, Gläubiger) übertragen wird 

 

  1. Hinter sämtlichen umlaufenden Geld stehen Kredite, wobei allerdings die Summe aller vergebenen Kredite wesentlich größer ist als die Summe des umlaufenden Geldes. (Etwa 4: 1 bis 5: 1)  (4)

 

  1. Kredite werden durch die Geschäftsbanken aus dem Nichts geschöpft, das heißt, sie haben keine Ersparnisse als Voraussetzung.

 

Kredite werden idealtypisch durch Unternehmen aufgenommen, um Vorprodukte und Leistungen von Dritten zukaufen zu können. Produzieren setzt also Verschulden voraus.

Geld entsteht dann durch Übertragung der aus einem Kredit resultierenden Forderung des Kreditnehmers gegen die kreditgebende Bank an diesen Dritten bzw. an dessen Bank. Geld in Form täglich fälliger Guthaben ist also eine Forderung des Konteninhabers gegen dessen kontenführende Bank.

Diese Dritten (bei Lohnzahlungen sind es die von Unternehmen bezahlten Lohnempfänger, also die Vierten) können mit diesen Forderungen ihre eigenen Schulden tilgen.

Alte Schulden werden somit durch neue Schulden, alte Kredite durch neue Kredite getilgt. Geld fließt zwischen diesen Neu- und Altschulden.

Das Geschäft der Geschäftsbanken besteht in einem fortdauernden Schöpfen von Neukrediten zur Tilgung der alten Kredite, wobei die Summe der Neukredite stets höher sein muss als die der alten. Die Unternehmer müssen ja zu ihren ursprünglichen Kosten jeweils noch Zinsen und Gewinne zurechnen. 

Der Gewinn der Banken wird aus den Kreditzinsen finanziert.

 

  1. Geld ist somit ein Rechtsverhältnis, das zwingend mehrerer Personen bedarf, zwischen denen es „gespannt“ werden kann.

 

  1. Geld ist damit keine Tauschware, kein Ding, das als solches irgendwann einmal hergestellt  und gegen ein anderes Ding getauscht worden und seit dem im Kreislauf ist.

 

  1. Da am Anfang der Kredit ist, und Geld aus dem Kredit hervorgeht, fallen somit bereits am Anfang schon bei der Geldbereitstellung Soll-Zinsen (Kreditzinsen) an.  Bereits die Geldbereitstellung ist mit Zinskosten verbunden.

 

 

Das ist das Neue an unserem heutigen Geld, das ein Geld des Industriekapitalismus ist.

 

 

D. Der Umlauf der Schulden

Die Entstehung von Geld und Geldvermögen

 

Aus diesen Überlegungen wird nun aber auch ersichtlich, dass nicht Geld, sondern Verschuldung – und zwar eine wachsende Verschuldung, damit der Vorschuldner jeweils Gewinne lukrieren und Zinsen zahlen zu können – von Hand zu Hand vorwärts in die Zukunft läuft, wobei die „alte“ Verschuldung durch eine „neue“ Verschuldung abgelöst wird.  Womit Geld aber gewissermaßen von den neuen Schulden immer zurück in die Tilgung der alten Schulden läuft. Folglich muss auch immer wieder „neues“ Geld entstehen, um alte Schulden aufzulösen, womit dieses Geld wieder vernichtet wird.

 

Das Geld bewegt sich also zurück. Und es ist nur solange vorhanden, wie es sich zwischen Start und Ziel bewegt. Mit der Vorstellung einer Bewegung wird nun aber auch deutlich, dass es auch bei dieser Form von Geld so etwas wie eine Fließgeschwindigkeit gibt. Diese Fließgeschwindigkeit würde unendlich groß, wenn der Zeitpunkt der Verschuldung des A mit dem Zeitpunkt der Entschuldung des C praktisch zusammenfällt. Geld verschwindet fast in dem Moment, in dem es entsteht. An seine Stelle tritt „neues“ Geldvermögen anstelle eines „alten“:  So wie C von seiner Schuld erlöst wird und an seine Stelle A tritt,  steht nun die Verbindlichkeit des A dem Geldvermögensbesitzer an Stelle der von C gegenüber.

 

Diese Geschwindigkeit muss also eine endliche sein, damit Geld überhaupt vorhanden ist. Und sie wird deshalb eine endliche, weil nahezu alles Geld auch durch die Hände der Haushalte fließt: Diese Fließgeschwindigkeit hat dabei eine obere Grenze, die vom zeitlichen Abstand, also dem Rhythmus abhängig ist, in dem immer wieder eine Neuverschuldung und damit der Einkommenstransfer erfolgt. Damit zusammen aber hängt auch der materielle Output der Produktion, die diesem Einkommen gegenübersteht. Sie bestimmt die mittlere Fließgeschwindigkeit. Auch ein Haushalt kann sein Monatseinkommen nur einmal im Monat ausgeben, unabhängig davon, ob er dies schon in den ersten Tagen macht oder verteilt über den ganzen Monat.

 

Umgekehrt kann es auch einen Geldstau oder Geldzurückhaltung geben. Dies  vor allem

  • bei der  Nicht-Nutzung von Einkommen der Haushalte für den Konsum;
  • bei den Preisanteilen, die dem Eigenkapital der Unternehmen über die Abschreibung zufließen.

 

Beim Einkauf von Vorprodukten mittels Fremdfinanzierung verschulden sich die Unternehmen nur soweit, wie sie für die Produkte zu zahlen haben. Die Höhe der Geldschaffung entspricht also der Höhe der Geldnutzung. Das gesamte neu geschaffene Geld fließt so von A rasch zurück zu C, wo es zur Tilgung der Kredite verwendet wird, die für die Herstellung der Vorprodukte benötigt wurden. Die Zeitpunkte der Geldschaffung und der Zeitpunkt der Geldvernichtung fallen fast unmittelbar zusammen.

Bei Lohnzahlungen ist dies jedoch anders. Zwar wird auch hier das neu geschaffene Geld zum Kauf schon früher gefertigter Produkte verwendet, doch fällt hier der Zeitpunkt der Geldschaffung nicht so unmittelbar mit dem Zeitpunkt der Geldnutzung zusammen. Und selbst bei mittleren Einkommen wird dieses nicht kurz- bis mittelfristig zur Gänze verkonsumiert, sondern ein Teil davon nicht ausgegeben. Die Verschuldungs/Entschuldungs-Stafette wird hier eingebremst bis teilweise unterbrochen.

 

Ähnliches kann mit dem Geldeinkommen der Unternehmen geschehen, das dem Eigenkapital zufließt. Auch dieser Anteil im Preis der Produkte muss durch Geldschaffung vom Käufer bereitgestellt  werden, doch muss  er nicht zwangsläufig zur Tilgung alter Schulden verwendet, sondern kann auch für eine spätere Neuanschaffung zurückgelegt werden. 

 

Diese Nichtnutzung von vorweg geschaffenen Geld bezeichnen wir

  • als Horten, wenn die Forderungen auf den Giralgeldkonten einfach stehen bleiben;
  • als Sparen, wenn diese Einkommensteile nicht einfach am Giralgeldkonto stehen bleiben, sondern eine längerfristige Veranlagung mit der Bank vereinbart wird.

 

Beim Horten wird die Fließgeschwindigkeit am Geldkonto zu Null. Es kommt dabei zu keiner Verringerung der Giralgeldmenge, jedoch zu einem Inaktiv-werden eines Teiles davon.

 

Anmerkung:

 

4.   Für Österreich beträgt die Geldmenge M3 (Geld plus geldvermögen) beträgt für 1997/98/99 : 127,8 / 131, 9 / 138,0  Mrd. Euro; davon die Geldmenge M1 (Bargeld plus tägl. fällige Guthaben): 46,9 /  51,3 / 55,8 Mrd. Euro. Aus: Geschäftsbericht der Österr. Nationalbank 1999, Tab.  14*