Ernst Dorfner

„Vollgeld“

und hierzu erforderliche Klarstellungen zum Thema „Geld“

 

Teil 6

Mit Vollgeld auf Wegen im Neuland

 

 

 K. Ein erster Schritt: Aktive Konjunkturpolitik anders

Schenkung der Zentralbank an den Staat statt verzinlicher Kredite

 

Nochmals: Wenn wir davon ausgehen, dass das Wirtschaftswachstum mit den dazu gehörigen Netto-Investitionen nicht genügend groß ist, dann kann eine aktive Konjunkturpolitik nicht auf Finanzierungsüberschüsse, auf Krediten aus Ersparnissen, zurückgreifen. Es sind neue, zusätzliche Kredite aus dem Nichts zu schöpfen, um dem Staat das Geld für eine aktive Konjunkturpolitik zur Verfügung stellen zu können.

Sie werden heute von den Geschäftsbanken gechöpft.Für diese aber sind von den Geschäftsbanken auch keine Habenzinsen zu zahlen, wie wir bereits dargestellt haben.

 

So stellt sich nun  die Frage, warum diese Kredite nicht dem Staat von der Zentralbank gegeben werden. Diese liefert ja dann die Zinserträge wieder mehrheitlich an den Staat ab, so dass die Kredite so in etwa zinslos wären – gewissermaßen eine ewiger Kredit ohne Zinsbelastung, praktisch eine Art Schenkung.

Insoweit bringt das Vollgeld-System nicht mehr. Wohl können diese Kredite nur von der Zentralbank kommen. Und werden dafür verrechnete Zinsen von dieser mehrheitlich wieder an den  Staat abgeführt. Warum aber trotzdem Vollgeld, hängt eng mit der Frage der Kontrolle der Geldmenge zusammen, auf die wir weiter unten eingehen werden.

 

Vorerst stellt sich die Frage: Warum überhaupt Zinsen, warum überhaupt Kredit, warum nicht gleich Schenkung? Die Zentralbank ist ja dieses Geld niemanden schuldig, da es mit dem Kredit aus dem Nichts geschöpft wurde? (14)

 

Mit dem Staat als Schuldner gibt es ja keine besonderen Bankenkosten, die zur Prüfung dessen Bonität anfallen, ist doch der Staat ein infallibler Schuldner, also einer, der praktisch nicht in den Konkurs gehen kann. Und tut er es trotzdem, bricht mit ihm das ganze Gebäude des Rechtsstaates und damit der Kredite und des Geldes zusammen. Wer anders vermeint, glaubt  an weiland Münchhausen, der sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht.

 

Und wenn es schon Gläubiger gibt, dann sind es nicht irgendwelche Geldvermögensbesitzer, denen die Forderungen gegen den Schuldner „Staat“ zukommen, sondern sind es die Lohnabhängigen. So sagt Joan Robinson: "Der Überschuss der Einnahmen aus dem Verkauf von Konsumgütern über deren Lohnsumme ist gleich der Lohnsumme im Investitionssektor. Die Gewinnspanne beim Verkauf der Konsumgütern hindert die Arbeiter daran, ihr gesamtes eigenes Produkt zu konsumieren und ermöglicht den Arbeitern im Investitionssektor, am Konsum teilzuhaben. Je größer der Investitionssektor ist, desto höher sind die Gewinnspannen und desto niedriger ist das Reallohniveau.“ (15)

Mit dem zusätzlich geschaffenen Geld werden zusätzliche Arbeitsplätze und zusätzliche Lohneinkommen geschaffen, die gleichfalls nach den bereits fertigen Konsumgütern  Nachfrage halten. Die Arbeiter im Konsumgüterbereich müssen also mit ihren Kollegen im Investbereich teilen. Das Reallohnniveau sinkt damit, aber das Gesamteinkommen insgesamt steigt. Den Konsumgüterproduzenten aber ermöglicht das vergrößerte Nachfragevolumen zudem, einen Überschuss aus dem Verkauf ihrer Güter zu erzielen, d.h. Gewinne zu schreiben.

 

So wird nun vorgeschlagen:

 

1.      Die vom Staat betriebene aktiven Konjunkturpolitik wird nicht mehr über verzinslichen Krediten finanziert, sondern mit Schenkungen von Geld seitens der Zentralbank.

 

2.     Über die Höhe dieser Schenkung entscheidet allein die Zentralbank. Sie ist so auszulegen, dass dabei die Kaufkraft des Geldes weder sinkt noch steigt.

 

Diese aktive Konjunkturpolitik über Schenkung von Geld an den Staat an Stelle von verzinslichen Krediten setzt nun durch die fehlenden Zinszahlungen ein gewisses Selbstregulativ hinsichtlich der Höhe des zusätzlich aufgenommenen Geldes außer Kraft. Befürchtungen, dass damit einer zügellosen Ingangsetzung der „Notenpresse“ Tür und Tor geöffnet werden, bestehen. Um diese Befürchtungen zu zerstreuen, ist nach anderen Möglichkeiten einer strengen Kontrolle zu suchen (16)

 

Joseph Huber schlägt dazu vor, die Zentralbank als vierte Gewalt im Staat – neben Legislative, Exekutive und unabhängiger Gerichtsbarkeit – weiter auszubauen und wie letztere strenge Unabhängigkeit genießt, aber voll verantwortlich ist für die Konstanthaltung der Kaufkraft des Geldes. Das heißt: Sie muss die Geldmenge so steuern, dass weder Inflation noch Deflation des Geldwertes eintreten.

 

3.     Die Zentralbank wird als streng unabhängige staatliche Institution eingerichtet, mit dem Recht, allein Geld zu schaffen, die Kontrolle der Kaufkraft des Geldes auszuüben und die dazu befugt ist, in Verfolgung dieser Aufgabe dem Staat Geld in Form von Schenkungen zuzuschießen bzw. als Einbehalt zurückzufordern.  (17)

 

Die Schenkung dient zur Vermeidung von Deflation. Es versteht sich, dass zur Vermeidung einer Inflation die Zentralbank auch das Recht und die Macht haben muss, beim Staat Geld aus Steuereinnahmen einzubehalten.

 

 

L.  Ein Mix aus Kreditgeld und Tauschgeld

Über die Teilhabe des Staates am Sozialprodukts über Tauschgeld

 

Der Vorschlag einer Schenkung von Geld an Stelle der Kreditaufnahme durch den Staat wurde bisher aus konjunkturpolitischer Sicht besprochen. Wir können den Vorschlag aber auch als ersten Schritt zur – zumindest teilweisen – Einführung eines Tausch-oder Kaufgeldes sehen, also eines Geldes, das nicht über Kredite entsteht.

 

Der Staat finanziert sich derzeit über Steuern und Abgaben, die allesamt die Unternehmen als Aufschläge auf ihre Herstellkosten einrechnen und so wie diese vorfinanzieren müssen. Letzten Endes werden damit die Herstellkosten der Konsumwaren – und damit deren Preise dementsprechend erhöht. Dies führt dazu, dass die Arbeiter im Konsumgütersektor ihr Produkt nicht mehr allein kaufen können, sondern mit all denen teilen müssen, die dann über diese Steuern und Abgaben ihre Geldeinkünfte erhalten.

Eine Frage stellt sich jedoch hier: Warum wird das so kompliziert gemacht? Warum muss nicht nur die zukünftige Produktion und der Handel, sondern auch jener Sektor der Gesellschaft, der seine Leistungen nicht über den Markt einbringt, sondern in Form der Leistungen des Rechts-, Bildungs- und Infrastrukturstaates schon eingebracht hat, und unverzichtbare Voraussetzung für das Funktionieren des Marktbereiches ist – warum also muss die Finanzierung dieses Sektos auch über Kredite erfolgen? Hier geht es nicht mehr um einen erst in Zukunft zu erwartenden Erfolg, also um Kredit. Die über Kredite finanzierte, noch den Erfolg suchende Produktion steht bereits auf diesem Fundament, das nicht erst über einen kreditfinanzierten Vorgang hergestellt werden muss.

 

Anders gefragt: Warum können der Staat und seine Institutionen nicht auch – aber nicht ausschließlich – direkt auf einen Teil des Sozialproduktes zugreifen, wozu ihm von der Zentralbank in streng kontrolliertem Ausmaß Geld in Form einer Schenkung zur Verfügung gestellt wird, womit er dann Leistungen und Produkte zukaufen kann? Warum muss ein Unternehmen zuerst Kredite aufnehmen, damit es seine Steuern bezahlen kann, damit dann mit diesen der Staat dem Unternehmen wiederum einen Teil seiner Leistungen abkaufen kann? Um so seine Schulden wieder zu tilgen, darüberhinaus aber auch noch Zinsen zu zahlen.

 

Sicherlich ist zu bedenken, dass die Kreditverpflichtungen die Unternehmen zu einer rentable Produktion verkaufbarer Waren verpflichtet. Auch die Kreditverpflichtung, die hinter den Steuern und Abgaben steht. Sicher kann auf diese Motorik nicht verzichtet werden. Aber es stellt sich schon die Frage, ob alles diesem Motor überlassen, ob der Antrieb so stark sein muss. Es stellt sich also die Frage, ob nicht ein Teil der Produktion mit Tauschgeld statt mit Kreditgeld gekauft werden könnte. Also mit Geld, das der Staat direkt von der Zentralbank bezieht. Nicht als Kredit. Sondern als Kaufgeld. Die vorhandene Geldmenge wäre dann nicht mehr allein von der Investitionsbereitschaft der Unternehmen abhängig, sondern würde auch mitbestimmt von einem über direkte Käufe in die Wirtschaft gekommenen Geld. (18)

Auf diese Weise begleichen die Unternehmen gewissermaßen einen Teil der Steuern in Natura, erhalten dafür aber Geld, das sie in die Lage versetzt, ihre in der Vergangenheit eingegangenen Kredite zu tilgen und einen, das unternehmerische Überleben sichernden Gewinn zu machen.

Mit diesem, auf das Preisniveau bedachten lateralen Zugriff des Staates scheint eine Aufrechterhaltung der Motorik der Kredit- und Geldwirtschaft auch bei mangelndem oder gar Nullwachtum möglich.  

 

Gehen wir beispielhaft davon aus, dass die Lohnsummensteuer abgeschafft wird, was vor allem den arbeitsintensiven Unternehmen zu Gute kommt, wobei der Ertrag dieser Steuer durch ein Geldschenkung an die  damit bedachte Gebietskörperschaft ersetzt wird. Die Unternehmen können jetzt mit geringeren Kosten erzeugen, wodurch die von den Unternehmen aufzunehmenden Kredite – die aus dem Nichts geschöpft werden – sinken können. Die Neuverschuldung der Unternehmen beginnt also zu sinken. Die Nachfrage nach den bereits fertigen Gütern wird aber ob des zusätzlichen Geldes aus der Schenkung gleich hoch wie früher bleiben, so dass die Unternehmen in etwa zu den alten Preisen verkaufen können, die so nun  weiter über ihren Gestehungskosten  liegen. Damit tritt nun keine Inflation ein, sondern erhalten die Unternehmer weiterhin jene Einnahmen, mit denen sie ihre alten Kredite samt Zinsen tilgen können. Und grosso modo auch noch einen Gewinn schreiben können.

Damit aber wird nun erreicht, dass die alten Schulden der Unternehmen nicht mehr  mit höheren neuen Schulden getilgt werden müssen, sondern dass die Neuverschuldung im Vergleich zur Altverschuldung nun auch sinken kann.

 

Damit ergibt sich folgende Einsicht

 

1.     Die Kreditwirtschaft hat die Entwicklung der hochproduktiven industriellen Gütererzeugung unterstützt oder sogar erst ermöglicht, so dass heute in der Realwirtschaft kein Mangel an Produkten, sondern nur an Geld besteht.

 

2.     Das Produkt der Arbeiter im Konsumgüterbereich wird derzeit über  Steuern und Abgaben, welche die Unternehmen über Kredite finanzieren, auf alle Menschen einer Volkswirtschaft verteilt.

 

3.     Damit aber wird auch die eher statische, bereits vorhandene Infrastruktur des Staates mit in die Dynamik der kreditfinanzierten industriellen Produktion hineingezwungen und die Notwendigkeit von wirtschaftlichem Wachstum noch weiter angeheizt. 

 

4.     Hier wird nun vorgeschlagen, teilweise an Stelle von Steuern das für diese Verteilung notwendige Geld dem Staat in kleinen Schritten direkt von der Zentralbank zur Verfügung zu stellen.

 

5.     Die Kreditwirtschaft mit ihrer Motorik bleibt für die eigentliche Produktion weiter aufrecht, doch ist die geldversorgung nun aber nicht mehr so sehr von der Investitionsbereitschaft der Unternehmen, also vom Wirtschaftswachtum, abhängig.

An dieser Stelle sei an Karl Marx erinnert, der meint,   „die Frage ist nicht: Wo kommt der Mehrwert her? Sondern: Wo kommt das Geld her, um den Mehrwert zu versilbern? [...] Das in Form von Geldkapital vorgeschoßne zirkulierende Kapital von 500 Pfd. St. [...] sei das zirkulierende Gesamtkapital der Gesellschaft. Der Mehrwert sei 100 Pfd St. Wie kann nun die  ganze Kapitalistenklasse beständig  600 Pfd. St. aus der Zirkulation herausziehn, wenn sie beständig nur 500 Pfd. St. hineinwirft?“ Und er antwortet etwas weiter unten: „In der Tat, so paradox es auf den ersten Blick scheint, die Kapitalistenklasse selbst wirft das Geld in Zirkulation, das zur Realisierung des in den Waren steckenden Mehrwertes dient. Aber nota bene: sie wirft es hinein nicht als vorgeschoßnes Geld, also nicht als Kapital. Sie verausgabt es als Kaufmittel für ihre individuellen Konsumtion.“ (Karl Marx, Das Kapital II,   S. 330/331 ff)

Nun ist es allerdings nicht die Kapitalistenklasse, die jenes Geld als Kaufmittel für individuelle Konsumtion „hineinwirft“, sondern der Staat bzw. seine Bürger. Sie konsumieren, während die Unternehmer den monetären Mehrwert kassieren, mit dem sie ihre Schulden samt Zinsen bei den Geschäftsbanken tilgen können. Damit Schulden, aber vice versa  Vermögen abbauen.

 

 

 

 

Anmerkungen

 

14.   Die Bedeutung dieses Vorschlages wird am Bundesbudget der Republik Österreich verdeutlicht: Budget 2000 zwischen 700 und 800 Mrd. ATS. Die Bundesschuld (ohne Länder, Gemeinden, Sonderfinanzierungsgesellschaften) liegt bei 1650 Mrd. ATS. Von diesen wurden seit Mitte der 70-iger Jahre etwa 1000 Mrd. ATS für Zinszahlungen (vor Steuer) verwendet, der Rest zur Subventionierung der Gewinne (und Förderung der Arbeitsplätze). Der jährliche Zinsaufwand liegt 2001 bei 100 Mrd. ATS. Dieses Geld könnte bei Vollgeld-Schenkung für soziale und ökologische Ziele ausgegeben werden.

 

15.   Joan Robinson, Über Keynes hinaus, S.99, Europaverlag, 1962

 

16.   Diese Kontrolle ist bei dem seinerzeit ventilierten Vorschlag einer Zentralbankfinanzierung des Budgetdefizits nicht möglich, können doch die Geschäftsbanken weiterhin Geld schaffen und vernichten.

 

17.  Solches schlägt Silvio Gesell bereits mit seinem Reichswährungsamt vor. Siehe dazu S. Gesell, Die natürliche Wirtschaftsordnung bzw. Das Reichswährungsamt.

 

18.   Silvio Gesell schreibt: Der zweite Widerspruch (der Emissionsreform von Flürschein) liegt darin, daß der Staat das Geld bei der Ausgabe selber nicht als Tauschmittel  benutzte, es also nicht gegen Waren, sondern gegen Wechsel, Pfandbriefe oder sonstige Sicherheiten hergab. Und das Geld ist doch Tauschmittel, und als solches durfte es nur gegen Waren ausgegeben werden.” (GW9, 330ff, GW11, S. 202ff)