Ja, wo kommt er her, der Zins?

Das ist eine ziemlich entscheidende Frage, über die sich die Ökonomen
schon lange streiten.

(1) Produktivität (Klassik): Der Zins wird verlangt und gezahlt, wegen
der (erhöhten) Produktivität der Werkzeuge (Produktionsmittel), die man
mit geliehenem Geld erwerben kann, im Vergleich zum Produzieren ohne
diese (zusätzlichen / neuen) Produktionsmittel. Je länger man mit diesen
Werkzeugen arbeiten (lassen) kann, desto mehr Gewinn, daher wird Zins
auf Zeit bezahlt.

(2) Profit (Marx): Zins ist Teil des Mehrwertes, der aus der
Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft stammt. Der Industriekapitalist
muss einen Teil seines Profites an den Geldgeber abgeben, wenn das
Geldkapital von letzterem vorgestreckt wird. Je mehr Arbeitszeit
ausgebeutet werden kann, desto höher der Profit, daher die
Zeitabhängigkeit.

(3) Zeitpräferenz (Neoklassik): Der Zins entsteht dadurch, dass Leute
etwas lieber gleich haben, als später. Dieses "lieber" drückt sich in
einem Preisunterschied aus. Der Zinssatz ist dann gleich der
durchschnittlichen Zeitpräferenz, z.B. heißt ein Zinssatz von 3% p.a.:
Im Durchschnitt ist den Menschen es so viel lieber, eine Sache ein Jahr
vorher zu haben, als später, dass sie diesen einjährigen "Zeitvorteil"
mit 3% des Sachwertes veranschlagen.

(4) Überlegenheit des geldbesitzenden Händlers beim Tausch (Gesell):
Ursprünglich wird der Zins vom Händler erhoben, der im Gegensatz zum
Produzenten beim Tausch Ware gegen Geld warten kann, was ihm einen
Vorteil verschafft. Die Konsumenten haben diesen Vorteil beim Kauf
nicht, da sie von ihren Bedürfnissen ebenso zum Kauf getrieben werden,
wie der Produzent (u.a. von der Verderblichkeit der Ware) zum Verkauf.
Der Geldbesitzer kann den Warenaustausch behindern, indem er sein Geld
nicht zur Verfügung stellt, bzw. dem Kreislauf entzieht. Es ist unklar,
warum der Zins beim Darlehen / Kredit auf Zeit bezahlt wird.

(5) Liquiditätspräferenz (Keynes): Die Leute ziehen es vor, ihren
Reichtum in möglichst liquider Form zu halten. Bei der Kreditvergabe
verschiebt sich die Liquidität vom Kreditgeber zum -nehmer. Zins ist
Kompensation dafür, dass für eine bestimmte Zeit Liquidität aufgegeben
wird.

(6) Verlust der Eigentumsprämie (Heinsohn&Steiger): Der Zins kompensiert
für den Kreditgeber die zeitweilige Aufgabe der freien Belastbarkeit
seines Eigentums. Zins entsteht also bei der Geldschöpfung durch die
Deckung seitens desjenigen der das Geld als Anrechtsschein auf Eigentum
emmittiert. Zins hat ursprünglich nichts mit dem Verleihen von Sachen zu
tun. Beim Darlehen ohne Schöpfung verschiebt sich die Zinszahlung an den
Emittenten lediglich vom Kreditgeber zum Kreditnehmer.

(7) Geldschöpfungsprivileg: Zur Geldschöpfung privilegierte
Organisationen (je nach Standpunkt nur die Zentralbank oder auch
Geschäftsbanken) können Zinsen für dieses Geld verlangen, weil die
Realwirtschaft auf Geld als Tauschmittel und für die Vorfinanzierung von
Investitionen angewiesen ist. Es gibt keine eigentliche Gegenleistung
für die die Zinszahlung kompensiert.

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Gemeinsam ist (1) und (2), dass sie die Ursache des Zinses in der Arbeit
bzw. Produktion sehen.

Bei (3) wird der Zins auf eine psychologische Eigenschaft des Menschen
zurückgeführt.

Bei (4) und (5) ist gemeinsam, dass sie die Ursache des Zinses in
Eigenschaften des Geldes sehen.

Ursache des Zinses ist bei (6) und (7) die Rechtsordnung: Bei (6) die
rechtliche Setzung des Eigentums, bei (7) die rechtliche Setzung des
Gelschöpfungsprivilegs.

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Zu den klassischen Theorien (1 und 2) habe ich mich an anderer Stelle
schon ausführlich geäußert. In beiden Varianten werden grundsätzlich nur
langfristige Gleichgewichtspreise betrachtet ("Wert"). Der
Gleichgewichtspreis für die Miete von Realkapital müsste aber gerade
gleich dem Verlust durch Abnutzung, resp. den Kosten der
Wiederherstellung (Reproduktion) sein. Der Zins ist aber gerade der
Anteil der Leihmiete, der hierüber hinaus geht, müsste also nach
klassischer Theorie im Gleichgewicht gleich Null sein.

Die neoklassische Variante (3) ist m.E. deshalb nicht glaubhaft, weil
die Zeitpräferenz m.E. keine absolute Geltung hat. Es gibt ja je nach
Situation auch die gegenteilige Tendenz zum Aufschieben von Konsum
("Sparneigung"), bei der die Präferenz darauf liegt, das Gut erst später
zu haben und nicht sofort. Es bleibt völlig unklar, warum die Präferenz
für den sofortigen Konsum immer überwiegen soll.

Das große Problem bei der Gesell'schen Theorie (4) ist dass der Urzins -
im Gegensatz zum Darlehenszins - keine explizite Zeitabhängigkeit
beinhaltet. Die Keynessche Variante (5) erklärt diese Zeitabhängigkeit
besser, weshalb ich dieser im allgemeinen den Vorzug gebe. Ich betrachte
beide Varianten als eng verwandt miteinander. Z.B. stimmen sie darin
überein, dass die (Netto-)Rendite auf Sachkapital als Folge des
Geldzinses zu betrachten ist, statt als seine Ursache, da die Höhe des
Geldzinses darüber entscheidet, ab welchem Grad an erwartetem Gewinn
(Profit) eine Neu- oder auch Ersatzinvestition in Sachkapital noch als
rentabel anzusehen ist. Dadurch wird zunächst die Nachfrage, dadurch die
Produktion und schließlich auch die Nutzung von Kapitalgütern immer
gerade so niedrig gehalten, dass deren Knappheit ausreicht, um
wenigstens den Zins zu erwirtschaften.

Die Theorie von H&S (6) krankt m.E. an einer Reihe von Widersprüchen.
Erstens möchte sie die Existenz eines Marktes einerseits aus der
Existenz von Geld (als Anrecht auf Eigentum, geschaffen bei der
Kreditvergabe) herleiten, andererseits muss sie den Markt (also die
Möglichkeit, mit dem Geld etwas beliebiges kaufen zu können) bereits
stillschweigend voraussetzen, da ja sonst die Überlassung von Geld
überhaupt keinen Nutzen für den Kreditnehmer hätte.

Ein zweiter Schwachpunkt ist, dass sie die Assymmetrie der Zinszahlung
zumindest zur Zeit der Entstehung des Geldwesens nicht überzeugend
erklären kann. Denn nach H&S müssen ja beide, Kreditnehmer und
Kreditgeber, Eigentümer sein, so dass nicht klar ist, warum sich der
Kreditnehmer überhaupt auf den Deal einlässt, statt per Belastung seines
Eigentums selber Geld zu schaffen. Erklärbar ist dies letztlich nur über
ein rechtliches Privileg, welches a priori einigen Eigentümern die
Geldschöpfung gestattet, anderen aber nicht (siehe dann auch Theorie 7).

Schließlich spricht gegen (6) die Existenz von Edelmetallwährungen
während der Neuzeit bis ins 20. Jhdt. hinein, bei der tatsächlich die
Prägung in erster Linie das Gewicht und den Edelmetallgehalt
dokumentierte, keinesfalls aber einen Anspruch auf irgendein drittes,
bei der Schöpfung belastetes, Eigentum. Die Deckung der Goldwährung lag
in ihm selber und mit der zeitweiligen Überlassung des in Münzen
geprägten Goldes war nicht nur die weitere Belastbarkeit, sondern auch
der Besitz also die Möglichkeit der Nutzung (z.B. für Schmuck,
Dekoration, etc.) für die Dauer des Kredites aufgegeben.

In Teilen stimme ich aber auch mit Theorie (6) überein, insbesondere was
den Mechanismus der Kapitalakkumulation, des Wachstumszwangs und der
(tatsächlich zu beobachtenden) Tendenz zur zunehmenden Verschuldung der
Wirtschaft angeht.

Gegen (7) spricht die Tatsache, dass der überwiegende Teil der
Zinsgewinne letztlich von reichen Privatleuten kassiert wird, nicht aber
von den geldschöpfenden Institutionen selber. Mir ist jedenfalls nicht
bekannt, dass die Gewinnmargen der Banken entscheidend über denen
anderer Unternehmenssparten liegen. Siehe hierzu die immer wieder von
Herrn Creutz angeführten Statistiken.

Ben
 
 

Antwort von Gerhard Margreiter:

Lieber Benjamin Franksen!

Es ist heute die wichtigste Art von Zinsbegehren und die tiefe Ursache
unserer Probleme, was Du unter Punkt 7 angeführt hast.

> (7) Geldschöpfungsprivileg: Zur Geldschöpfung privilegierte
> Organisationen (je nach Standpunkt nur die Zentralbank oder auch
> Geschäftsbanken) können Zinsen für dieses Geld verlangen, weil die
> Realwirtschaft auf Geld als Tauschmittel und für die Vorfinanzierung von
> Investitionen angewiesen ist. Es gibt keine eigentliche Gegenleistung
> für die die Zinszahlung kompensiert.

Daß es die Geschäftsbanken sind, die dabei die Hauptprofiteure sind und
nicht die Zentralbanken, sollte mittlerweile bereits einigermaßen klar
sein. Der österreichische Staat etwa bekam bisher durchschnittlich etwa 10
Mrd Schilling aus den Gewinnen seiner Zentralbank muß aber insgesamt etwa
130 Mrd an Zinsen bezahlen. Dies bleibt auch dann so, wenn es dem Staate
tatsächlich gelingen sollte, keine neuen Schulden zu machen, was die neue
Reierung nun durchboxen will.

Du meinst nun später:

> Gegen (7) spricht die Tatsache, dass der überwiegende Teil der
> Zinsgewinne letztlich von reichen Privatleuten kassiert wird, nicht aber
> von den geldschöpfenden Institutionen selber. Mir ist jedenfalls nicht
> bekannt, dass die Gewinnmargen der Banken entscheidend über denen
> anderer Unternehmenssparten liegen. Siehe hierzu die immer wieder von
> Herrn Creutz angeführten Statistiken.

Diese Argumentation finde ich eigentümlich, denn es ist für die negativen
Wirkungen der Zinsbegehren auf die Wirtschaft insgesamt doch ziemlich
unerheblich, wie die Zinsen von den reichen Privatleuten letztlich kassiert
werden, ob direkt von irgendwelchen "Einlagen" oder über die Dividenden der
Bankaktien (bzw. durch Kursgewinne). Dahinter steht immer der Zwang, Geld
bei Banken leihen zu müssen.

Mögen nun auch die Gewinnmargen der Banken nicht angestiegen sein, die
Gewinne sind jedenfalls überproportional gewachsen und wachsen immer dann
besonders, wenn es dem Produktivteil der Wirtschaft schlecht geht..
Es wird heute immer mehr Geld mit Geld verdient und immer weniger mit
Produktion. Das ist eine ins Verderben führende Entwicklung.
Zur Illustration dieser Tendenz füge ich eine Graphik bei, die diese
gegenläufige Verschiebung in den Anteilen am Bruttoinlandsprodukt über die
Jahre zeigt. Nicht nur in Österreich, sondern im allen Industriestaaten
fand diese Verschiebung statt.

Die meisten Ökonomen beschönigen diese Entwicklung leider mit der
irreführenden Behauptung, daß es heute eben immer mehr Dienstleistungen
gäbe.

Mit Neujahrsgrüßen
Gerhard Margreiter